„Wo ist der Zorn?“

Das Interview mit Cris Koch, Teil II: Es geht um die Subversion, das Aufbegehren, das Spiel mit dem Teufel – und Sherlock Holmes.

Wir haben im ersten Teil des Interviews über das Abstumpfen gesprochen, die Schnelllebigkeit der heutigen Zeit, den Qualitätsverlust, der daraus entsteht – in vielen Bereich des Lebens: „Ich kann mich als Künstler daneben stellen und sagen: Ich wundere mich“, hat Cris Koch dazu gesagt. Aber ist das alles? Kann man sich als Künstler tatsächlich nur daneben stellen und kommentieren? Kann man nicht mehr offensiv dagegen sein?

Cris Koch: Theoretisch hat man oft den Gedanken: Warum gehen die Leute nicht mehr auf die Straße. Wo ist der Zorn? Warum kommt der nicht mehr raus? Aber die Gegenseite ist heute verdammt gut vorbereitet. Außerdem findet man im Protest nur noch schwer ein gemeinsames Thema. Die Dinge sind zersplittert, gehen immer weiter auseinander. Man kann zwei Mathematiker an einen Tisch setzen und die können sich nicht mehr unterhalten. Weil sie in ihrem Fachbereich so weit auseinander sind. Der Konkurrenzkampf wird außerdem immer größer. Jeder hat seine Ellenbogen draußen. Deshalb kann es nicht mehr funktionieren, dass sich 40.000 Studenten zusammentun und politisch aktiv werden.

Glaubst du an ein subversives Potential von Kunst oder Pop?

Koch: Mir kommt immer wieder eine bestimmte Figur unter: Buckminster Fuller. Ein interessanter Vogel. Philosoph, Künstler, Designer, Architekt. Der hat schon in den 1950er Tableaus aufgestellt, wie die Ressourcenverteilung auf der Welt sich darstellt. Und auf den geht auch die Bewegung des Design-Thinking zurück. Dabei geht es darum, dass Menschen mit einer bestimmten Kompetenz in Prozesse der Entscheidungsfindung einbezogen werden. Politiker sind meist nur Zahlenhengste. Buckminster Fuller hat gefordert, dass viel mehr Künstler, Designer, Menschen die um die Ecke denken, dass die viel mehr in Entscheidungen einbezogen werden.

Siehst du einen Chance dahin zu kommen?

Koch: Ich persönlich für mich nicht, die Idee des Design-Thinking finde ich jedoch gut. Aber man kann nicht dahin kommen, solange die Zahlen die Dinge bestimmen und die Zahlen sind eben das Geld.

Ist das Deine Vorstellung, wie Kunst Einfluss nehmen kann? Oder gibt es nicht auch ein wirklich subversives Potential von Kunst. Kunst als etwas, das die Vorstellung von einem ganz anderen Leben wach hält? Künstler als Menschen, die denjenigen, die die Kunst konsumieren, beweisen, dass es auch ein Leben jenseits der Zahlen gibt?

Koch: Ich glaube, da muss man den Begriff des Konsum aufdröseln. Konsum ist: Ich gehe in den Elektromarkt und kaufe mir einen Fernseher. Konsum ist aber auch: Ich gehe ins Museum und schau mir etwas an. Aber ich nehme etwas anderes mit nach Hause. Das ist der entscheidende Punkt. Oft geht man durch Ausstellungen, geht an hundert Bildern vorbei und es juckt einen alles nicht. Und plötzlich ist da dieses eine Bild und das tritt einen in den Arsch. Dann hat man vielleicht Lust nach Hause zu gehen und selbst zu arbeiten. Ich bleibe vor Bildern oft eine Stunde sitzen. Natürlich kann das etwas auslösen – das kann dein Leben verändern.

Kann Kunst Menschen erziehen?

Koch: Ich will Menschen nicht erziehen. Ich will niemandem etwas vorschreiben.

Du malst nicht, um zu verändern.

Wenn ich male, denke ich nicht daran, damit jemanden zu verändern. In dem Moment arbeite ich – und das Bild. Da passiert etwas, aber das ist sehr intim, da denke ich nicht das Publikum mit. Das darf man auf keinen Fall machen. Die Steigerung dessen wäre ja dann, während des Malen daran zu denken, was einem das Bild an Geld, an Anerkennung oder so bringen könnte. Das ist ein Spiel mit dem Teufel. Das muss man aus dem Arbeitsprozess raushalten.

Was im Bezug auf Deine Arbeit markant ist, ist der Umgang mit Popkultur. Was ist Popkultur?

Popkultur ist das, was viele anspricht und ihnen Spaß macht. Auch einen Wohlfühlmoment erzeugt. Viele haben gesagt, der Raum da unten, da kann man sich wohl fühlen. Auch ich wurde die letzten Tag oft gefragt, ob ich mich in dem Ausstellungsraum da unten wohl fühle. Ich fühle mich da verdammt wohl. Warum darf Kunst das nicht? Kunst muss nicht irgendetwas sein, was total abstrakt, übermächtig an der Wand hängt. Kunst muss sich nicht immer hinter Konzepten verstecken, die die meisten Menschen abschrecken.

Du willst keine erklärungsbedürftige Kunst machen.

Koch: Was heißt erkärungsbedürftig? Ich bin mit vielen Leuten hier durch die Ausstellung gegangen und habe ihnen etwas erklärt, ihnen die Geschichte dazu erzählt.

Aber die Erklärung ist nicht notwendig.

Koch: Es gibt Leute, denen gefällt das Bild wegen der Farben, anderen gefällt es weil sie irgendwelche Dinge herauslesen, etwas darin sehen.

Aber das muss nicht das gleiche sein, wie das, was du darin siehst.

Das ist nicht wichtig. Jeder Einzelne vervollständigt das Bild. Jeder auf seine Weise. Aber es tauchen schon bei mir immer wieder bestimmte Motive auf. Die Cthulhu-Figur zum Beispiel. Das ist ein schlafender Gott, der aus dem Universum kam und in einer Stadt am Meeresgrund schläft. Der erscheint Künstlern und Dichtern weltweit in Visionen und ein Professor spinnt die Fäden zusammen. Cthulhu ist der Inbegriff des Bösen. Das ist eine Figur. Dann spielt Sherlock Holmes eine wichtige Rolle. Und seine Methode, die Deduktion, vom Detail auf das Gesamte zu schließen. Und das kann man bei meiner Kunst auch machen. Dieses spielerische Moment. Man kann eintauchen, Dinge entdecken und von da aus dann auf andere Dinge schließen.

Man wird als Betrachter ein bisschen zum Detektiv, aber jeder kommt zu einem anderen Ergebnis.

Ich mag die Vorstellung, dass jeder der die Ausstellung besucht, sich ein bisschen wie ein Detektiv fühlt.

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