Cris Koch. 343 m/s – die Ausstellung

Schallwellen legen im Schnitt 343 Meter pro Sekunde zurück. Im Werk des jungen Berliner Künstlers Cris Koch (geb. 1975) spielt Schall, englisch „sonic“, als Thema, Schriftzug und Werktitel eine zentrale Rolle. Eine Rezension.

Mit einer vielseitigen Bandbreite an Techniken, Werkzeugen und Medien verwebt der Künstler und Musiker urbane Motive mit typographischen Fragmenten und populären Figuren zu wilden popkulturellen Werken.

Das Museum Villa Stuck zeigt Gemälde, Zeichnungen, Polaroids, Plastiken und Objekte des Künstlers im Untergeschoss und Treppenhaus. »343 m/s« von Cris Koch bildet den Auftakt der Reihe »Ricochet«, in der junge KünstlerInnen Diskurse der Gegenwart durch ästhetische Transformation einer Neubetrachtung öffnen.

Der »schöne Schall« und seine ästhetischen Begleiterscheinungen sind Thema der Werke, die im Untergeschoss der Villa präsentiert werden. In der Installation alter Plattencover und Plakate reflektiert der Künstler, der in verschiedenen Musikprojekten tätig war, die visuellen Resultate seiner musikalischen Vergangenheit. »The Historical Society of Noise« zeigt das Instrumentarium einer Band aus umgestalteten Musikinstrumenten und entfremdeten Alltagsgegenständen, die den Anschein erwecken, funktionierende Musikinstrumente zu sein. Das Schlagzeug ist eine Waschmaschinentrommel, Tonarme von Plattenspielern liegen als Drumsticks bereit. Die Instrumente sind verkabelt. Der Schein der Funktionalität bleibt zunächst gewahrt, verdeckt die Dysfunktionalität.

Noch weiter auf den Pfad der Dekonstruktion begibt sich Koch mit der Installation »Plattenladen«. Er entzieht Tonträgern ihre akustische Funktionalität und stellt das reine Konstrukt ihrer visuellen Ästhetik zur Schau. Koch hat wahllos erworbene Schallplatten bemalt und ihre Cover neu gestaltet. Plattenspieler ohne Tonarm transformieren das neu gestaltete Vinyl durch Rotation zum visuellen Ereignis. Der Betrachter kann das Wesen des Kunstwerks über den Geschwindigkeitsregler mitbestimmen und wird so konstituierender Teil des Kunstwerks selbst. Durch die Titel auf den neu gestalteten Covers erinnert Koch an den ursprünglichen Inhalt der Platten, seine Neuordnung ist nicht endgültig. Der Besucher der Ausstellung kann Platten und Cover nach eigenem Geschmack neu sortieren. Die Anziehungskraft scheinbar nebensächlicher Aspekte, der materiellen Seite der musikalischen Produktion – nichts weniger als ihre Magie, rückt in den Mittelpunkt, sobald sich der musikalische Inhalt in Luft aufgelöst hat. Ein Standpunkt, der sich auch bei Thurston Moore von Sonic Youth findet: »I like watching music more than listening to it. I like watching live bands. Looking at records. Touching them. Smelling them.«

Im Treppenhaus der Villa Stuck wird die Vielfalt von Kochs Schaffen erfahrbar. Er malt auf Pappe, Holz oder Leinwand, benutzt eine Rakel als Pinsel und bedient sich der Monotypie. Koch coloriert mit Aquarell und Buntstiften, er benützt Acryl, Tusche, Marken und Sprühfarbe. Beschaffenheit des Untergrunds sowie Bearbeitung lassen oft grobe, ungeschliffene Werke entstehen, die an Street Art erinnern und von urbanen Motiven wie Hochhäusern, Ampeln oder Pylonen durchzogen sind.

In Kochs Werk ist Typografie ein dominierendes Element. In vielen Bildern des gelernten Schriftsetzers erscheint Schrift in Beziehung zum visuellen Text einer Headline aus dem Lay-out. In seinen Collagen verbindet Koch, ungeachtet der Gattungsgrenzen, ausgeschnittenes Text- und Bildmaterial mit gemalten Motiven. Zeitungsausschnitte und Plakate werden ihrem ursprünglichen Kontext entrissen und in eine neue Bildwelt ein gewoben. Scheinbar zufällig tauchen die Namen Prominenter, Werbeslogans oder Logos in Gemälden oder Collagen auf. Das Verfahren, Versatzstücke aus der Popkultur in neue Werke einzuflechten um beim Betrachter ein assoziatives Spiel auszulösen, kommt aus der Popkultur selbst. Der Künstler bezeichnet seine Methode als »Sampling«, einem aus der DJ-Kultur und Medienkunst entlehnten Begriff.

Kochs Symbolsprache bleibt nicht an atmosphärischer Begrenztheit und Stereotypen der populären Kultur hängen. Sie dient der Suche nach einem zeitgemäßen Ausdruck für Antriebe und Beweggründe, die gerade heute in der entfalteten Popkultur schwer eine öffentliche Form finden. Im Gemälde »Affenkot« (2008) das den AC/DC-Frontmann Angus Young zeigt, versucht Cris Koch den Verlust des Vaters zu bewältigen, der ein leidenschaftlicher Fan der Band war. Die gleiche Thematik zeigt sich in der Zeichnung »Trauer« (2008) – die Mutter aus der US-Serie »Twin Peaks« die vom Tod ihrer Tochter erfährt, wird zu einer modernen Personifikation der Trauer.

Kochs Werk ist durchzogen von Indizien, die dem Betrachter helfen, zum eigentlichen Kern seiner Arbeiten vorzudringen. Die Struktur seiner Arbeiten ähnelt der Struktur aus den Kriminalromanen Arthur Conan Doyles. Gemäß der Sherlock Holmesschen »Methode der Deduktion« soll der Betrachter die im Werk verwobenen Spuren, Symbole und Signale lesen und dadurch einen verborgenen Zusammenhang erschließen. Er wird zum Detektiv, Cris Koch, der sich hinter verschiedenen Pseudonymen verbirgt, zu seinem »Gegenspieler«. Wie das berühmte Alter Ego von Sherlock Holmes, Professor Moriarty: Moriarty, mit seiner Neigung zu abstrakten Wissenschaften, beschränkt sich nicht auf verborgene Experimente im Labor; er legt Spuren, damit er erkannt wird.

Die Grenzen der Erkenntnis sind Cris Koch bewusst. Die Leerstellen, die das logisch-rationale Denken hinterlässt, füllt auch in der Moderne der Mythos. Der Cthulhu-Mythos, der von dem Schriftsteller H.P. Lovecraft geschaffen wurde, verweist auf die unerklärbare Kontinuität des Bösen in der modernen Welt. In vielen seiner Bilder sampelt Cris Koch den Mythos von Cthulhu, dem tintenfischförmigen, gottähnlichen Wesen, das den bekannten Naturgesetzen nicht unterliegt. Er symbolisiert nichts weniger als die Präsenz des Verdrängten in Räumen, die der Logik nicht zugänglich sind.

Bild: Cris Koch – Mein Lehrer (streng, aber nett), 2009, 196 x 148 mm, Marker, Siebdruck auf Papier, © Cris Koch

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