Nils Norman über Spielplätze im urbanen Raum

Unter dem Motto „Kinder in der Stadt – Kinder und KünstlerInnen sprechen über Räume und Zäune“ diskutieren wir am 8. Januar wie der ideale Spielplatz aussieht. Nach einem Vortrag des englischen Künstler Nils Norman über die Geschichte der Spielplätze, wird die Wiener Künstlerin Sofie Thorsen Einblicke in das Wiener System des Gemeindebaus geben. Die Künstlerin beschäftigt sich mit viel mit abstrakten Spielplastiken der Nachkriegszeit. Auch Jörg Koopmann, derzeitiger Leiter der Lothringer 13 /Halle und Fotograf, berichtet über seine Erfahrungen als Mitglied der Quivid-Kommision für Kunst im öffentlichen Raum.

Anlässlich der heutigen Diskussionsrunde veröffentlichen wir in unserem Blog einen Beitrag, den Nils Norman für den Ausstellungskatalog „Geh und spiel mit dem Riesn“ verfasst hat. Unter dem Titel „Bewegliche Teile“ reflektiert der in London lebende Künstler die Geschichte der ersten Abenteuer- und Gerümpelspielplätze – und wie urbane Freiräume das Leben und Spiel von Stadtkindern entscheidend prägen.

Bewegliche Teile
von Nils Norman

Im Jahr 1816 wurde dem deutschen Pädagogen Friedrich Fröbel eine Professur für Mineralogie in Stockholm angeboten. Er lehnte diesen Posten jedoch ab und gründete stattdessen ein kleines Kinderschulheim im thüringischen Griesheim. Dieses kurzlebige Experiment war sein erster Versuch, die von ihm seit einigen Jahren formulierten pädagogischen Konzepte in die Praxis umzusetzen. Seine Ideen waren durch die revolutionären Unterrichtsmethoden des Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi angeregt, die unter anderem direktes und selbstgesteuertes Lernen beinhalteten.

Fröbels erster Versuch der Gründung einer Schule gipfelte nach einigen weiteren Anläufen schließlich im ersten Kindergarten, der 1840 in Bad Blankenburg eröffnet wurde. Da er ein autodidaktischer Fachmann der Mineralogie war, wurde sein Studium der Kristallografie und Geologie teilweise prägend für sein pädagogisches Gedankengut, in dem Grundformen, Geometrie und Kristalle – die platonischen Bausteine der Natur – in ein Erziehungsverständnis einflossen, das einige Jahre später zur Entstehung der Kindergarten-Bewegung führen sollte. (1 Norman  Brosterman: Inventing Kindergarten, New York 1997)

Zentrale Prinzipien im Kindergarten waren eigeninitiatives Lernen und Selbstausdruck, und das Spiel war grundlegend für seinen Erfolg. Diese Ideen liefen den traditionellen, rigoros auf Auswendiglernen, also Aufsagen und Antworten, gestützten Lehrmethoden der Zeit zuwider, denn ihm folgend sollten Kindergartenlehrer eher Betreuer oder Mitarbeiter sein, die Kinder zu Spiel und freiem Ausdruck befähigten und anleiteten sowie die Bedürfnisse des Kindes in den Mittelpunkt des Klassenzimmers stellten.

Wie  in den ersten Kindergärten waren Spiel und Spiellandschaften zentrale Themen für die frühen modernistischen Stadtplaner, die in vielen Fällen wohl entweder selbst als Kind einen Kindergarten besucht hatten oder zumindest mit dessen Ideen vertraut waren.

In den 1930er Jahren stellte die »radikal-kulturelle« Ideologie funktionaler und sozialbewusster Architektur gepaart mit den Einsichten der Entwicklungspsychologin Anne Marie Nørvig (1893–1959) das Kind, Spielplatzplanung und Spiel in den Mittelpunkt der neuen, modernen Parkpolitik. (2 Ning de Coninck-Smith: Natural  Play in Natural Surroundings. Urban Childhood and Playground, Planning  in Denmark, 1930–1950 (Working Paper 6), Odense 1999.)

Im Jahr 1931 veröffentlichte der dänische Landschaftsarchitekt Carl Theodor Sørensen (1893–1979) das Buch Park Politics in Town and Country, das einen großen Einfluss auf die europäische Stadt- und Landschaftsplanung ausüben sollte, heute aber weitgehend in Vergessenheit geraten ist. In dem Band prägte er, ausgehend von seinen Beobachtungen von auf leeren Baustellen spielenden Kindern, den Begriff des »Gerümpelspielplatzes«. Er beschloss, diese Idee in seine Pläne für die Freiflächen einzubeziehen, die er und seine Kollegen für die neuen dänischen Wohnsiedlungen und Grünanlagen entwarfen. Erste Abenteuer- oder Gerümpelspielplätze entstanden auf Baustellen, Brachen und Trümmergrundstücken, die von Großstadtkindern auf der Suche nach interessanten umgestaltbaren Orten, wo sie einigermaßen ungestört fern der Eltern spielen konnten, kolonisiert wurden.

Der erste offizielle Gerümpelspielplatz wurde 1943 am Stadtrand von Kopenhagen eröffnet. Die dem Entwurf von Sørensen zugrunde liegende Absicht war, einen Ort zu gestalten, an dem »Kinder selbst die Schaffenden sind«. Diese Ideologie, verbunden mit den Begriffen des »Pro-Play« und später des »Freispiels« waren grundlegend für das Prinzip des Abenteuerspielplatzes, wo alles, was in den Kindergarten geschleppt wurde, als Form des Ausdrucks genutzt werden konnte: bewegliche Gegenstände wie Flaschenkästen, Baumstämme, Autoreifen, Kisten und sonstiges Gerümpel waren Teil  der Ausstattung der Spiellandschaft. Wichtig in der Spielplatzterminologie ist die Unterscheidung zwischen »festem Spiel« und »freiem Spiel«: Ersteres ist dem Abenteuerspiel diametral entgegengesetzt und der Begriff beschreibt die »starren Eisenwaren« unbeaufsichtigter, unbeweglicher modularer Klettergerüste und Schaukeln aus Metall, die von Architekten, Künstlern oder Stadtplanern entworfen werden. Buchstäblich alles, was brauchbar erschien, wurde als Spielmaterial in den Spielplatz aufgenommen.

Diese Form von städtischer Wiederverwertung war ein wichtiges Element der Abenteuerspielästhetik, einer Ästhetik, die heute weiter besteht, auch wenn deren Praxis inzwischen stärker reglementiert ist. Anfangs hatten Spielplatzaufbauten eher behelfsmäßigen Charakter und waren anpassungsfähig, allmählich aber wurden die beliebteren Aufbauten zu festen Bestandteilen und zum Angelpunkt für die um sie herum errichteten Bretterbuden, Bühnen und sonstigen Anbauten. Zu zahlreichen Abenteuerspielplätzen gehören halb fertige oder halb zerfallene Aufbauten, die wie ewige Ruinen dastehen.

In dem Band Arcadia for All knüpfen Colin Ward und Dennis Hardy an die Tradition der sogenannten Plotlands an. (3 Dennis  Hardy  und Colin Ward: Arcadia  for All. The Legacy  of a Makeshift Landscape, Nottingham 2004.) Dieser englische Begriff bezieht sich auf selbst gebaute Hütten und Barackensiedlungen, Ferienlager und Wochenendsiedlungen, die ab den 1920er Jahren auf unbrauchbarem Land entstanden, für das sich sonst niemand interessierte – ein bald europaweites Phänomen. Die Autoren sehen in dieser Art von auf  Eigenarbeit und gegenseitiger Hilfe beruhendem Wohnungsbau eine experimentelle, umweltbewusste Alternative für künftige Stadtentwicklungsprojekte. Sie schlagen vor, »Inseln der Unordnung« bereitzustellen, räumlich begrenzte Gebiete, wo die städtischen Bauordnungsbestimmungen gelockert werden, sodass sich örtliche Initiativen im selbst gestalteten, individuellen wie kollektiven Wohnungs- und Städtebau entwickeln können. Abenteuerspielplätze mit ihren Raumprovisorien und ihrem Selbstbau-Ethos verkörpern den gleichen experimentellen Geist wie die »Plotlands«, eine Form von radikalem Städtebau und Gemeinschaftsorganisation in kleinem Maßstab.

Wie in den 1930er Jahren ist Spiel erneut ein wichtiger Gesichtspunkt für Designer, Künstler und Architekten, die sich mit Stadtplanung und städtebaulicher Beratung beschäftigen. Anders als in den Dreißigern aber, als sozial denkende radikale Modernisten, angeregt durch Fröbels Kindergarten, neue Paradigmen in der Stadt- und Parkplanung entwickelten, sind Kreativität und Spiel nunmehr Schlagwörter für die rigorosen Gentrifizierungsmethoden der sogenannten kulturellen Wiederbelebung. Da Künstler inzwischen ganz in die herrschenden Wiederbelebungssysteme eingebunden sind, ist der Zeitpunkt vielleicht gekommen, »Inseln der Unordnung«, also bewegliche Teile und Gerümpel oder auch wirklich oppositionelle Entwicklungsstrategien, in kreative Wiederbelebungsprogramme einzubeziehen. Die Verbindung von »Plotlands« mit  Abenteuerspielplätzen zur Schaffung radikal vielfältiger, ökologisch sensibler öffentlicher »Spielorte« wäre ein interessantes, die  bestehende Ordnung durchbrechendes stadtplanerisches Experiment und ein begrüßenswertes Mittel gegen die übliche »Platzgestaltung« der Stadtprivatisierung.

Der Text erschien in dem Katalog „Geh und spiel mit dem Riesen!“
Hg.: Michael Buhrs, Anne Marr und Eva Maria Stadler
Kindheit, Emanzipation und Kritik
Softcover, 256 Seiten, ISBN: 978-3-7356-0018-9
erhältlich zum Preis von € 19,90 im Museumsshop

Geh und spiel mit dem Riesen! Kinder in der Stadt
Kinder und KünstlerInnen sprechen über Räume und Zäune


Mit Nils Norman (London), Sofie Thorsen (Wien) und Jörg Koopmann (München)
Moderation: Eva Maria Stadler, Kuratorin
Freitag, 8. Januar 2016, 19 Uhr
Museum Villa Stuck

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