PHILOSOPHISCHER ADVENTSKALENDER – TÜRCHEN 19 BIS 24

Weihnachten wird gerne als „Fest der Liebe“ bezeichnet. Tatsächlich sind wir in der Weihnachtszeit aber oft gestresst und gehen nicht besonders liebevoll miteinander um. Es schadet also sicher nicht, ein paar besinnlich-philosophische Momente in den Adventstrubel einzustreuen und darüber nachzudenken, was Liebe denn eigentlich ist. Daher haben Anna und Paulus Kaufmann vom Philosophischen Foyer einen Adventskalender zusammengestellt, der täglich ein Zitat, ein Bild und frische Denkanstöße zum Thema „Liebe“ enthält. Nehmen Sie sich also einmal am Tag eine Viertelstunde Zeit zum Nachsinnen und Weiterdenken. Schreiben Sie uns gerne, was Ihnen dabei in den Kopf kommt: Widerspruch, Zustimmung, weitere Fragen, eigene Erfahrungen etc. Wir wünschen Ihnen Frohe Weihnachten!

 

Türchen 19: Heimsuchung

Wenn übermächtig
das Verlangen mich heimsucht,
wend‘ ich das Gewand
meiner finstern Nächte
von außen nach innen um.

Ono no Komachi: Kokinwakashū, 12:554, übersetzt von Wilhelm Gundert, in: Ders. u.a. (Hrsg.) Lyrik des Ostens: Gedichte der Völker Ostasiens, C. Hanser, 1978

Eine Frau liegt nachts in ihrem Bett und nicht nur die Nacht ist dunkel, sondern auch ihr Gemüt. Schwarz wie die Beeren der Leopardenblume – so erzählt es uns Ono no Komachi, eine japanische Dichterin des neunten Jahrhunderts. Vor lauter Sehnsucht nach dem Geliebten zieht die Frau ihr Gewand aus und dreht es auf die andere Seite. Die Seite, die sonst dem Geliebten zugewandt ist, berührt jetzt ihre Haut. Eine auch für uns berührende Geste. Im alten Japan geht die Geste überdies mit der Vorstellung einher, das Umwenden des Gewandes könne den Geliebten herbeirufen, so dass er uns im Traum erscheint. „Wishful thinking“ – werden vielleicht einige von uns sagen. Aber gehören Irrationalitäten und Beschwörungsversuche nicht wesentlich zur Liebe dazu? Oder sind sie Anzeichen einer unreifen Leidenschaft? 

Türchen 20: Unsterblich verliebt

Lately, I find myself out gazing at stars
Hearing guitars like someone in love
Sometimes the things I do astound me
Mostly whenever you’re around me
Lately I seem to walk as though I had wings
Bump into things like someone in love
Each time I look at you
I’m limp as a glove
And feeling like someone in love

John Francis Burke: Like someone in love, 1944

Wir wissen, woran man merkt, dass man verliebt ist: wir versalzen das Essen, können unseren Blick nicht vom anderen lassen, oder wir starren in die Sterne und gehen als hätten wir Flügel. Heutzutage schiebt die Naturwissenschaft das auf unsere Hormone und vergleicht das Gefühl des Verliebtseins mit einer Achterbahnfahrt. Kein Wunder also, dass sich die Person aus dem Song „schlaff wie ein Handschuh“ fühlt, wenn sie den geliebten Menschen anblickt. Das Verlieben wird oft als Beginn einer Liebesbeziehung gesehen. Für den amerikanische Philosoph Robert Nozick z.B. entsteht aus dem Verliebtsein irgendwann – wenn alles gut geht – eine Einheit, ein „Wir“, und das ist dann die wahre Liebe. Aber gehört das Verlieben zu jeder Liebesbeziehung? Und was passiert genau mit dem Verliebtsein, wenn die Beziehung reift?

 

Türchen 21: Nicht die Richtige

„Okwu, ich meine es ernst. Ich hätte Kosi nie heiraten dürfen. Ich habe es damals schon gewusst.“ Okwudiba holte tief Luft und atmete aus, als wollte er den Alkohol ausatmen. „Hör mal Zed, viele von uns haben nicht die Frau geheiratet, die wir wirklich geliebt haben. Wir haben die Frau geheiratet, die da war, als wir bereit waren zu heiraten. Vergiss die Geschichte. Du kannst sie weiterhin sehen, aber es besteht keine Notwendigkeit, sich wie ein Weißer zu verhalten. Wenn Deine Frau ein Kind von jemand anders bekommt, oder du sie schlägst, das sind Gründe für eine Scheidung. Aber dich hinzustellen und zu sagen, dass du kein Problem mit deiner Frau hast, aber sie für eine andere verlässt? Haba. Bitte, so verhalten wir uns nicht.“

Chimamanda Ngozi Adichie: Americanah, übersetzt von A. Grube. S. Fischer 2014, S.594

Okwudiba vertritt in diesem Gespräch eine klare Meinung über Liebesbeziehungen: Manchmal sind wir mit einem Menschen liiert, mit dem wir Tisch und Bett teilen, mit dem wir eine Familie gründen, den wir aber nicht wirklich lieben. Für Okwu ist das kein grundsätzliches Problem. Ehe, feste Beziehung und Liebe müssen in seinen Augen nicht zusammenfallen. Sein Gesprächspartner Zed merkt dagegen, dass sich die Beziehung, die er führt, nicht richtig anfühlt. Ich denke, dieses Gefühl kennen viele von uns. Und manchmal ist die Liebe sogar unerbittlich: Wir können uns nicht aussuchen, wen wir lieben. Selbst wenn wir einen Menschen sehr schätzen, mögen und uns wünschen, ihn zu lieben, gelingt uns das nicht. Man könnte sich also fragen, ob wir uns blind auf das Gefühl der Liebe verlassen sollten. Kann uns die Liebe nicht auch zu Partnerinnen und Partnern führen, die nicht gut für uns sind? Sollten wir da nicht besser jemanden wählen, mit dem es einfach gut funktioniert? 

 

Türchen 22: Unglücklich verliebt

Im Grunde glaubte er nicht sehr fest an das, was Hans gesagt hatte, und fühlte genau, dass jener nur halb soviel Gewicht auf diesen Spaziergang zu zweien legte wie er. Aber er sah doch, dass Hans seine Vergesslichkeit bereute und es sich angelegen sein ließ, ihn zu versöhnen. Und er war weit von der Absicht entfernt, die Versöhnung hintanzuhalten. Die Sache war die, dass Tonio Hans Hansen liebte und schon vieles um ihn gelitten hatte. Wer am meisten liebt, ist der Unterlegene und muss leiden.

Thomas Mann: Tonio Kröger, in: Sämtliche Erzählungen. S. Fischer 1963, S.214f.

Liebe macht verletzlich, das erfährt Tonio Kröger durch seine erste große Liebe. Und er scheint bereits die ersten Lehren aus dieser schmerzhaften Erfahrung zu ziehen. Wer in der Liebe vorangeht, setzt sich der Gefahr der Niederlage und des Leidens aus. Da scheint es nahezuliegen, seine Liebesgefühle möglichst im Zaum zu halten. Bloß nicht zu viel riskieren! In der Tat gehört die Selbstfürsorge zu jeder reifen Liebe dazu. Aber ohne Verletzlichkeit geht es auch nicht. Wir müssen es riskieren, auch mal unglücklich zu lieben, um überhaupt zu lieben. Und was heißt in der Liebe schon „unterlegen sein“? Wo aber spüren wir die Grenze zur Selbstaufgabe? Wie gehen wir bei der Annäherung an den Anderen vor?

 

Türchen 23: Das Wissen der Liebe

Und was ist, wenn es die Liebe ist, die jemand verstehen will, dieses fremde widerspenstige Phänomen, Lebensform, Quelle der Erleuchtung und Verwirrung, Qual und Schönheit zugleich? Die Liebe in ihrer großen Vielfalt und ihren verworrenen Beziehungen zum guten menschlichen Leben, zu unseren Hoffnungen, zum gesamten menschlichen Miteinander?

Martha Nussbaum: Love’s Knowledge. Oxford University Press 1992, S.4

Ja, was ist, wenn man versucht, die Liebe zu verstehen – so wie wir das in diesem Adventskalender tun? Dann kommt man wohl nicht umhin, mit Martha Nussbaum zu sagen, dass die Liebe ein widerspenstiges Phänomen ist, das sich nicht auf eine einfache Formel oder Beschreibung bringen lässt. Auch Nussbaum betont in ihrem Buch Love’s Knowledge, dass wir der Liebe nicht allein durch eine Definition oder eine wissenschaftliche Erklärung gerecht werden. Gerade wenn die Philosophie ein Phänomen wie die Liebe in den Blick nehmen will, müsse sie auch auf die Literatur schauen. Die Literatur mache nämlich möglich, ein wesentliches Merkmal der Liebe nachzuempfinden: die Entwicklung in der Zeit. Liebe ist nicht einfach da oder nicht. Sie entwickelt sich, im Dialog und Austausch mit einem anderen Menschen. Wir könnten noch ergänzen, dass neben Philosophie und Literatur auch die Kunst einen Beitrag dazu leistet, die Liebe zu erfassen. Auch sie lässt sich nicht festlegen auf eine einzige Perspektive. Sie ist vielschichtig und vieldeutig. Welcher Text oder Film, welches Bild, Kunstwerk oder Musikstück hat Dich die Liebe besser verstehen lassen? 

 

Türchen 24: Segel der Liebe

Es kommt ein Schiff, geladen
bis an sein’ höchsten Bord,
trägt Gottes Sohn voll Gnaden,
des Vaters ewigs Wort.
Das Schiff geht still im Triebe,
es trägt ein teure Last;
das Segel ist die Liebe,
der Heilig Geist der Mast.

(Text Johannes Tauler zugeschrieben)

In diesem Lied, dessen Ursprünge vermutlich bis in die deutsche Mystik der 14. Jahrhunderts zurückreichen, wird die schwangere Maria mit einem Schiff verglichen. Das Schiff steht dabei sinnbildlich für ein Fahrzeug, das den Menschen Nahrung und Wohlstand bringt. Das Jesuskind wird hier also als ein Schatz verstanden, der am Weihnachtstag zu uns gebracht wird. Johannes Tauler vergleicht an anderer Stelle außerdem die menschliche Seele mit einem Schiff. Auch wir, so Tauler, tragen Jesus jederzeit in uns, auch wenn wir ihn aufgrund von Alltagssorgen nicht spüren und erkennen können. Wenn wir aber Liebe in uns spüren, dann verbinde uns das wieder mit Gott. Daher ist die Liebe in Taulers Worten das Segel, mit dem wir uns mit Gott, mit uns selbst und mit anderen Menschen vereinen können. Eine große Liebeserklärung an die Liebe! Spricht sie uns auch heute noch an?  

Sie haben unseren Kalender nun während 24 Tagen begleitet. Ihre Segel der Liebe sollten daher nun prall gefüllt sein und wir wünschen Ihnen, dass Sie mit diesem Fahrtwind gut und geschmeidig durch das nächste Jahr segeln können. Frohe Weihnachten!

 

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