PHILOSOPHISCHER ADVENTSKALENDER – TÜRCHEN 7 BIS 12

Weihnachten wird gerne als „Fest der Liebe“ bezeichnet. Tatsächlich sind wir in der Weihnachtszeit aber oft gestresst und gehen nicht besonders liebevoll miteinander um. Es schadet also sicher nicht, ein paar besinnlich-philosophische Momente in den Adventstrubel einzustreuen und darüber nachzudenken, was Liebe denn eigentlich ist. Daher haben Anna und Paulus Kaufmann vom Philosophischen Foyer einen Adventskalender zusammengestellt, der täglich ein Zitat, ein Bild und frische Denkanstöße zum Thema „Liebe“ enthält. Nehmen Sie sich also einmal am Tag eine Viertelstunde Zeit zum Nachsinnen und Weiterdenken. Schreiben Sie uns gerne, was Ihnen dabei in den Kopf kommt: Widerspruch, Zustimmung, weitere Fragen, eigene Erfahrungen etc. Wir wünschen Ihnen eine besinnliche Adventszeit!

 

Türchen 7: Liebe ohne Fürsorge

„Und Liebe ohne Fürsorge? Auch die gibt es. Man stelle sich zwei sehr selbständige Menschen vor, die ihren je eigenen Haushalt, Beruf, Bekanntenkreis haben und sich regelmäßig, entlastet von den Mühen des täglichen Lebens, zu einem Abendessen im Restaurant, zu einer gemeinsamen Nacht in einem Hotel, zum Musizieren, zum Wandern treffen. Warum sollte man bestreiten, dass es sich hierbei um echte Liebe oder Freundschaft handeln kann, nur weil sie ihn (oder er sie) nicht bekocht oder beim Kauf der neuen Waschmaschine unterstützt oder nur weil beide keine Kinder wollen und in Krankheit und Alter lieber professionelle Pflege in Anspruch nehmen, als den anderen in seinem Leben unnötig einzuschränken?“ 

(Angelika Krebs: Arbeit und Liebe; Suhrkamp 2002, S.249f.)

Wenn wir von Paarbeziehungen sprechen, dann denken wir meist an Menschen, die zusammenleben, ihren Alltag gemeinsam organisieren, die vermutlich Kinder haben und ihre Freizeit zusammen verbringen. Dieses Bild der Paarbeziehung springt uns aus Filmen, Songs und Büchern, aus der Werbung und auch aus unserem eigenen Denken entgegen. Die Basler Ethikerin Angelika Krebs stellt dieses Bild in Frage und will unseren Blick für eine Vielzahl möglicher Beziehungsformen öffnen. Den Begriff der Liebe auf eine einzige Beziehungsform einzuschränken, hält sie für eine anmaßende Einengung verschiedener gleichberechtigter Lebensentwürfe. Krebs widerspricht damit auch zahlreichen philosophischen Liebeskonzeptionen, die die Fürsorge als wesentlichen Bestandteil der Liebe betrachten. Aber kommen die diversen Beziehungsformen der Liebe wirklich ganz ohne Fürsorge füreinander aus? Und ist man per se unselbständig, wenn man auf die Fürsorge einer anderen Person vertraut?

Türchen 8: All the lonely people

Eleanor Rigby
Picks up the rice in the church where a wedding has been
Lives in a dream
Waits at the window
Wearing the face that she keeps in a jar by the door
Who is it for?

All the lonely people
Where do they all come from?
All the lonely people
Where do they all belong?

(Paul McCartney)

Das muss auch mal gesagt werden: Die Liebe ist höchst ungerecht verteilt. Warum liebt niemand Eleanor Rigby? Sicher nicht, weil sie weniger liebenswert ist als andere. Wenn wir mal wieder geneigt sind, die Liebe zu glorifizieren, dann sollten wir auch bedenken, dass viele Menschen sich einsam fühlen, weil ihnen die Liebe einer anderen Person fehlt. Wie gut, dass die Beatles daran erinnern. Was hilft gegen die Einsamkeit?

 

Türchen 9: Kosmische Liebe

„Liebe überflutet das All -:
quillend aus tiefsten Gründen,
über die Sternenwelt strömend:
Die Liebe ist liebend zugetan allem,
da sie den Kuss des Friedens gab,
dem König unserem höchsten Herrn.“

(Hildegard von Bingen: Symphonia 9; C.H. Beck 2006, S.10)

Für Hildegard von Bingen ist die Liebe nicht primär eine Beziehung zwischen zwei Menschen. Sie ist die kosmische Kraft, die alles verbindet. Wir können uns aber von ihrem Strom mitreißen lassen. Auch unsere Liebe ist dann überquellend und „allem zugetan“. Sie ist eine Kraft des Friedens, die uns in die Lage versetzt, unsere eigenen Grenzen zu überschreiten. Dann aber ist es wohl nicht mehr die besondere Liebe zu einer besonderen Person. Oder können wir in der einen Person die ganze Welt lieben?

 

Türchen 10: Karmische Liebe

„So wie ein Magnet Eisen anzieht, so streben Mann und Frau zueinander. So wie Bronzeschalen das Wasser des Mondes sammeln, so kommen Eltern zu ihren Kindern. Eltern und Kinder sind einander zugetan, doch sie kennen nicht den Grund ihrer Zuneigung. Mann und Frau lieben einander, doch sie verstehen nicht den Grund ihrer Liebe. Ineinander strömende Flüsse verstärken sich, umeinander fliegende Funken steigern ihre Glut. Mann und Frau sind gebunden durch das Seil ihrer Illusionen, trunken vom Wein ihrer Unwissenheit. Ihre Verbindung ist wie ein Treffen im Traum, wie eine flüchtige Begegnung auf Reisen.“

(Kūkai: Der Schlüssel zum Geheimen Schatzhaus; T2426.77.363c15-19)

Die bisher zitierten Autorinnen und Autoren halten die Liebe für eine besondere Bereicherung des menschlichen Lebens. Einige buddhistische Denker wie der japanische Mönch Kūkai (774-835) sehen das aber anders. Auch für Kūkai ist die Liebe eine kosmische Kraft, eine Naturgewalt, die Männer und Frauen, Eltern und ihre Kinder vereinigt. Die Menschen erkennen jedoch nicht, was dahinter steckt: Karma. Unsere Liebe und Zuneigung sind bloß die Folge unseres Handelns in vergangenen Existenzen. Vielleicht lieben wir jetzt einen Mann, weil der uns in einem früheren Leben einen Gefallen getan hat. Ein Kind ist mein Kind, weil es unser karmisches Schicksal ist, dass es ausgerechnet von mir geboren wird. Liebe ist eine blinde Kraft und somit gerade nicht Ausdruck einer einzigartigen individuellen Beziehung. Und das Schlimmste: die Liebe hindert uns daran, nach dem Ende der Wiedergeburten zu streben und zu erwachen. Aber ist die individuelle Liebe wirklich immer ein Hindernis auf dem Weg zu höheren spirituellen Zielen?

 

Türchen 11: Durch Dick und Dünn

„Das, also, hatte sie getan: Sie hatte mich getäuscht, hatte mich dahin gezogen, wohin sie wollte, vom Anfang unserer Freundschaft an. Das ganze Leben lang hatte sie ihre Geschichte einer Erlösung erzählt und dazu meinen lebendigen Leib und meine Existenz benutzt. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht bedeuteten diese beiden Puppen, die mehr als ein halbes Jahrhundert überdauert hatten und bis nach Turin gelangt waren, lediglich, dass es ihr gut ging und sie mich liebte, dass sie alle Schranken eingerissen hatte und endlich beabsichtigte, durch die Welt zu reisen und so im Alter, einer neuen Wahrheit folgend, das Leben zu führen, das man ihr in ihrer Jugend verwehrt hatte und das sie sich auch selbst verwehrt hatte.“

Elena Ferrante: Die Geschichte des verlorenen Kindes; übersetzt von K. Krieger, Suhrkamp 2018, S.615

In ihrer neapolitanischen Saga erzählt Elena Ferrante die Geschichte einer Frauenfreundschaft – ja, lieber Herr Montaigne, auch die gibt es! Am Ende der Saga bekommt die Ich-Erzählerin in einem unbeschriebenen Umschlag die zwei Puppen, mit denen sie und ihre Freundin Lila in ihrer Kindheit gespielt haben, die jedoch jahrzehntelang verschollen waren. Sie tut sich schwer damit, diese Geste zu deuten: Sind die Puppen ein Symbol für die Manipulation durch Lila? Oder sind sie ein Zeichen der Liebe? Ferrante zeigt so in ihrem Roman-Zyklus, wir schwer es ist, die Vielschichtigkeit von Beziehungen zu durchschauen. Ob wir geliebt werden oder nicht, aber auch ob wir selbst lieben oder nicht, ist keineswegs immer offensichtlich. Überdies sehen wir an dieser Geschichte, dass uns nicht nur Eltern und Geschwister, sondern auch Freunde und Freundinnen tiefgreifend prägen. Manchmal arbeiten wir uns ein Leben lang an ihnen ab. Kann die Liebe mit Konkurrenz, Neid und anderen negativen Gefühlen koexistieren? Wie viel davon verträgt sie?

 

Türchen 12: Selbstliebe

„Es heißt, um andere lieben zu können, müsse man sich selbst lieben. Stimmt das? Könnte nicht auch das Gegenteil zutreffen, auf zwei Ebenen: Ich liebe andere, um mir selbst zu entrinnen, und ich kann mich selbst nur insoweit lieben, als ich fähig bin, andere zu lieben? Die Selbstheirat setzt voraus, dass ich Frieden mit mir selbst gefunden habe. Doch was, wenn ich mich mit mir selbst nicht versöhnen kann? Und wenn mir dies erst klar wird, nachdem ich mich geheiratet habe? Sollte ich dann einen formalen Akt der Selbstscheidung einleiten? Und sollte ein solcher Akt auch Katholiken erlaubt sein?“

(Slavoj Žižek: Heirate Dich selbst! In: Philosophie Magazin 2016:1, S.35)

Žižek macht sich hier über das sogenannte Self-Dating lustig, bei dem man einen romantischen Termin mit sich selbst ausmacht, sowie über inzwischen tatsächlich praktizierte Rituale von Selbstheirat. Dabei geht es ihm aber nicht nur darum, einen guten Witz zu machen. In seinen Augen steht hinter diesen Phänomenen eine falsche Vorstellung von unserem Verhältnis zu uns selbst. Können wir wirklich je endgültig im Frieden mit uns sein? Und lässt sich dies wirklich dadurch bewerkstelligen, dass wir uns selbst die Treue schwören? Daran habe auch ich meine Zweifel, und Žižek weist sicher zu Recht auf die Komplexität unseres Selbstverhältnisses hin. Aber an dem Satz, dass wir uns selbst lieben müssen, um andere lieben zu können, scheint doch auch etwas Wahres dran zu sein. Müssen wir nicht zumindest offen und wohlwollend uns selbst gegenüber sein, um auch anderen Menschen offen und liebevoll begegnen zu können? 

 

 

 

 

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