„Wie die Fiktion neue Realität generiert“

Alles fertig. Ricochet #3 in der Villa Stuck kann beginnen. Kurz vor der Eröffnung am Mittwoch konnten wir noch mit Hito Steyerl über ihre Arbeit reden, über Fakten und Fiktion, Copy und Paste, den Wunsch nach einem anderen Leben, warum Franz von Stuck das Copyright verletzte – und wie ihr Urgroßvater als Roter Matrose möglicherweise die Villa stürmte.

Wenn man Artikel über Dich heraussucht, kann man da von einer deutschen, einer österreichischen, einer deutsch-japanischen, einer amerikanischen Künstlerin lesen…

Hito Steyerl: Ach, die Journalisten sollen aufgeben. Ich hab noch viel bessere: Ich war schon italienisch, türkisch, chinesisch. Es gibt kaum eine Kombination, die nicht auf mich angewendet wurde.

Das zeichnet Deinen Weg als Künstlerin nach.

Steyerl: Ich wollte schon einmal eine Arbeit machen, in der diese nationalen Bezeichnungen nur als Tags nebeneinander aufgelistet werden. Es wird ja tatsächlich in Museen auf den kleinen Schildern neben den Bildern die nationale Herkunft des Künstlers angegeben. Das ist doch wahnsinnig.

Weil diese Konstrukte, die Außenstehende oft bemühen, keine Rolle mehr spielen?

Steyerl: Was soll ich dazu sagen? Ich glaube, das sind Konzepte, die aus eine Welt stammen, die es natürlich immer noch gibt, die auch immer noch wichtig ist, die aber mit der Lebensrealität von sehr vielen Menschen nichts mehr zu tun hat.

Du bist in München geboren.

Steyerl: Das ist ein Faktum, aber ich glaube nicht, dass das in meinen letzten Arbeiten eine Rolle gespielt hat. Ich wohne ja schon lange nicht mehr hier. Aber als ich jetzt wieder hier war, habe ich mich an den Fassbinder Film „Angst essen Seele auf“ erinnert. Weil ich genau in diesem Viertel, zu dieser Zeit, unter diesen Umständen aufgewachsen bin, wie es der Film zeigt. Dieser Film fasst vielleicht am besten mein Verhältnis zu München zusammen. Das ist ein Spielfilm, ein unrealistischer Spielfilm, eine komplett fantastische Fiktionalisierung des Gegebenen. Und deshalb akzeptiere ich es als prägend.

Hast Du eine Beziehung zu diesem Haus, zur Villa Stuck?

Steyerl: Was mich an diesem Haus interessiert hat, ist eine Phantasie, das kann ich nicht belegen. Aber meine biographische Phantasie war eben, dass mein Urgroßvater, Franz Xaver Karmann, unter den etwa zwanzig Roten Matrosen war, die während der Münchner Räterevolution dieses Haus gestürmt und Herrn Stuck verhaftet haben. Das kann man zwar nicht beweisen, aber nachdem er damals Roter Matrose war, ist das der Moment für mich, anzufangen, mich mit dem Haus zu beschäftigen.

Wir sitzen hier im ersten Raum der Ausstellung. Helle Bildkästen mit abstrakten, farbigen Markierungen darauf…

Steyerl: Was man hier sieht, sind die Kopierzeichen, die von Verkäufern auf Fotos gemacht werden, um sie dann auf Ebay zu verkaufen. Die Fotos zeigen im Originalzustand Szenen aus dem Zweiten Weltkrieg, die von deutschen Soldaten aufgenommen wurden. Da ist alles Mögliche zu sehen, aber hauptsächlich Kriegsverbrechen, militärische Szenen. Für diese Ausstellung hab ich versucht, auch im Hinblick auf die anderen Arbeiten, mich hauptsächlich auf Darstellungen von gefangenen sowjetischen Soldatinnen zu konzentrieren, die auf Ebay unter der Bezeichnung „Flintenweiber“ angeboten oder angepriesen werden. Denn in allen drei Arbeiten geht es ganz zentral um kämpfende Frauen und darum, wie ihr Bild zu einer Ikone wird, zu einer Ikone des Hasses, zu einer der Anbetung oder auch der Sexualisierung. All diese Aspekte sind vorhanden.

Cris Koch, der erste Künstler in der Ricochet-Reihe, hat mir erzählt, dass er einen sehr intuitiven Ansatz verfolgt, er hat immer von einem Flow gesprochen, in den er beim Malen kommt.

Steyerl: Ich hab einen anderen Ansatz, aber es ist nicht so, dass mein Ansatz nicht emotional ist.

In welchem Verhältnis stehen denn für Dich Theorie und Praxis?

Steyerl: Es sind zwei verschiedene Handwerkszeuge, um ähnliche Sachverhalte zu betrachten. Sie sind komplett verschieden und ich versuche, sie auch so verschieden wie möglich zu halten. Ich schreibe nicht über meine Sachen. Aber ich schreibe Texte über die Sachverhalte, mit denen ich mich auch in meiner Arbeit beschäftigte. Das baut schon aufeinander auf. Oder präziser: das baut gegeneinander auf.

Dir geht es ja sehr stark um die Überlappung von Fiktion und Fakten. Könntest Du das vielleicht anhand eines der hier ausgestellten Werke etwas genauer erklären.

Steyerl: Eine Szene aus dem Film November als Beispiel: Die hat mit dem Rest des Films eigentlich gar nichts zu tun, aber sie beschreibt das Verhältnis ganz gut. Am Schluss des Films führe ich ein Interview mit einem Mann, der selbst in den siebziger Jahren Mitglied einer Stadtguerilla-Organisation war. Der erzählt mir, dass sie immer ins Kino gegangen sind damals und sich Filme angeschaut haben, um sich in den Filmen Anleitungen für ihre Entführungen zu holen. Da gab es zum Beispiel einen Film von Costa-Gavras, State of Siege, der hat sie beeinflusst, der hat aber auch die reale Entführung von Patty Hearst beeinflusst. Alle haben versucht, das im Film gesehene nachzumachen, haben aber nicht berücksichtigt, dass das natürlich Fiktion ist und Fehler darin sind. Und als sie versucht haben, das in der Realität umzusetzen, sind sie an diesen Fehlern gescheitert. Das interessiert mich. Wie die Fiktionen nicht ein verschobenes Abbild der Realität ist, sondern wie die Fiktion selber neue Realität generiert.

Ist das bei Erinnerung nicht ähnlich? Erinnerung ist doch kein Fenster in die Vergangenheit, sondern ein Spiegel, der uns selbst zeigt.

Steyerl: Erinnerung setzt jemanden voraus, der etwas erinnert, das heißt, etwas von außen nach innen holt, setzt ein Subjekt als Fokus voraus oder mehrere Subjekte. Ohne das kommt keine Erinnerung aus.

Du erinnerst Dich ja in November an Deine beste Freundin, damals in München. Wie machst Du denn dem Betrachter deutlich, dass Du nicht diejenige bist, die die einzige Wahrheit über die damaligen Ereignisse erzählt.

Steyerl: Das spielt natürlich eine wichtige Rolle. Ich versuche das zum einen dadurch, dass ich es vermeide, ein Porträt dieser Person zu zeigen. Ich versuche vielmehr, nur die Bilder nachzuvollziehen, die von ihr gemacht wurden. Und zum anderen, indem ich als jemand auftauche, der in die Ereignisse verwickelt wird. Und von der dann selbst Bilder gemacht werden. Zum Beispiel als kurdische Demonstrantin.

Das wäre dann ein weiterer dieser nationalen Tags.

Steyerl: Ja, genau. Ich bin da plötzlich als Kurdin in einer Arte-Dokumentation zu sehen, in die ich durch Zufall hineingeraten bin, während der Dreharbeiten. Der sonore Fernsehsprecher-Kommentar erzählt da gerade, dass die Kurden demonstrieren und da laufe ich dann plötzlich vorbei. Ich habe nicht die Kontrolle in diesem Film. Ich versuche Bilder zu verstehen, die missverstanden werden – und werde dabei selbst zu einem Missverständnis.

Warum werden denn Bilder immer noch so oft missverstanden? Warum suchen die Menschen in den Bildern immer noch die Wahrheit. Warum wollen sie da belogen werden? Warum muss es Künstler geben, die darauf hinweisen, dass es eben nicht die Wahrheit ist, die Bilder zeigen?

Steyerl: Das weiß ich nicht. Das ist eine gute Frage. Wollen sie belogen werden? Ich bin gar nicht sicher. Ich glaube, die meisten wissen schon, dass das nicht stimmt.

Aber die Lüge liegt immer offen da und die Menschen wollen sie doch als die Wahrheit nehmen.

Steyerl: Das ist der Grund, warum ich in vielen Arbeiten mit dem Schrott aus der Populärkultur arbeite. Weil darin das Begehren so stark kondensiert ist. Dieser Wunsch nach einem anderen Leben. In dieser verschobenen oder vielleicht auch unkenntlichen Version von sich selber. Aber die Hoffnung auf ein anderes Leben liegt da so stark drin, in der schnulzigsten Soap-Opera, wahrscheinlich sogar in diesen Reality-Games im Internet. Es geht darum, ein anderes Leben zu haben. Und dieses Begehren ist wichtig, ist etwas Schönes, ist etwas, das ich respektiere und eine Kraft, mit der ich arbeite. Aber natürlich, die Art, in der diese Bilder zirkulieren, in der sie vermarktet werden, in der sie die Menschen zurichten, die ist unerträglich. Obwohl: Ich bin eigentlich kein Kulturpessimist.

Es gibt also diese zwei Seiten? Das Begehren, das wichtig ist, das aber auch dazu führt, dass alle belogen werden und sich zurichten lassen?

Steyerl: Ja.

Die Aufklärung…

Steyerl: Die Aufklärung gibt es nicht mehr. Es ist die Frage ob man es schafft, dieses Begehren in eine andere Richtung zu lenken. Aber das alte Konzept der Aufklärung ist ja das: Wir sagen jetzt den Leuten, das stimmt alles nicht und dann hört ihr Begehren auf. Das ist völliger Schwachsinn. Das hört so lange nicht auf, bis es etwas Besseres gibt. Es ist also eher die Frage, wie man mit dem Begehren anders arbeiten kann.

Was wäre dieses Bessere? Kann man das definieren?

Steyerl: Nein.

Kann man es versuchen?

Steyerl: Kann man, aber dabei kann man immer nur scheitern. Aber der Versuch ist wichtig.

Was macht denn dieses Mehr an Bildern, zum Beispiel im Internet, mit den Menschen. Ist das eine demokratisiertere Form von Bildrezeption, demokratischer als sie es war, als es zum Beispiel nur drei Programme im deutschen Fernsehen gab?

Steyerl: Grundsätzlich ist es einfach mehr. Es ist für mich toll. Endlich gibt es alles was ich will. Das ist wunderbar. Es muss aber nicht wunderbar sein. Das kann genauso bescheuert sein oder verdummend. Das Medium ist komplett unschuldig. Es kommt darauf an, was die Menschen damit machen.

Was hat es denn mit dem dritten hier gezeigten Werk, „Woman fighter“ auf sich.

Steyerl: Das ist diese kleine Statuette von Stuck, die ich einfach umbenenne. Es gibt ja auch einen zweiten Strang durch meine Arbeiten. Der Strang der Appropriation und des Copyrights. Wem gehören Bilder? Wer eignet sie an? Wie funktionieren diese Aneignungen? Wer deutet die Bilder, wer baut sie in welche Narrationen ein. Und bei Stuck ist ja lustig, dass ich zwar diese Statue aneigne, aber Stuck selber, und das wird ja in dem gleichen Raum hier gezeigt, auch Rips gemacht hat von anderen Statuen. Nebenan steht die kapitolinische Wölfin (Foto oben), die ja auch nichts anderes ist als copy und paste. Nur das wird dann nicht Copyright-Verletzung genannt, sondern Genietum oder so. Dabei folgt es der selben Linie.

Wo ist denn der Ursprung dieser Linie?

Steyerl: Weiß ich nicht. Wahrscheinlich bei der ersten künstlerischen Äußerung. Das gab schon bei den Höhlenzeichnungen. Die durften ja nicht kopiert werden. Aber dann ist eine Gruppe ausgezogen und hat die in der nächsten Höhle wieder an die Wand gemalt, hatte aber den Inhalt nicht verstanden und hat dann komplett falsche Riten aufgeführt.

Steckt da auch der Anspruch auf Neuheit drin?

Steyerl: Nicht jede Aneignung ist eine Neuerung. Aber das kann schon passieren. In hohem Grade. Das ist zwar jetzt ein ausgeleiertes Beispiel aber dennoch: Die Appropriation Art. Da hat Sherrie Levine in den achtziger Jahren einfach die Walker Evans Fotos genauso wie sie waren wieder aufgenommen, aber damit den Fokus auf etwas ganz anderes gelegt. Darauf, wie Kunst mit Autorennamen verbunden wird, was für eine Art von männlich dominierter Kunstgeschichte sich da schreibt. Sie hat nichts gemacht, außer das abzufotografieren. Aber das war eine große Neuerung. Es kommt auf den Kontext an, ob es etwas Neues ist. Und man kann durch Wiederholung natürlich auch Dinge schlechter machen.

Ist zu dem Zitathaften der Kunst ein Weiter vorstellbar. Im Sinne einer neuen Kunstrichtung?

Steyerl: Wir sehen doch ständig neue Kunstrichtungen entstehen. Da mache ich mir keine Sorgen. Auch wenn es so oft heißt: Man hat Angst um das Bestehende, es gibt so viele Bilder, alle kopieren voneinander, es passiert nichts Neues, das ist außerdem solipsistisch, man dreht sich immer in dieser Welt von Bildern. Nein. Ich glaube, dass diese Welt von Bildern, diese unendlich vielen Bilder, die da sind: das ist unsere Realität. Das ist die
neue Natur, wenn man so will. Caspar David Friedrich hat Wolken gemalt und Eisschollen.
Und heute türmen sich auf Google ähnliche Trümmerschollenfelder aus digitalen Bildern. Wenn man Google-Images anklickt, dann hat man ähnliche Bilderscherbenhaufen, die sich fantastisch ineinanderkeilen. Es dauert natürlich eine Weile, bis sich in so einer Situation künstlerische Strategien bilden, aber dieser Bereich hat überhaupt nichts Sekundäres, es ist eine primäre Realität: die Welt der Bilder.

Ricochet #3
Hito Steyerl
22.07. bis 26.09. 2010

Mittwoch, 21. Juli 2010, 18.00 Uhr
Hito Steyerl im Gespräch mit Andreas Ströhl (Filmfest München)

Im Rahmen der Reihe »Ricochet« präsentiert das Museum Villa Stuck einen Artist`s talk von Andreas Ströhl und Hito Steyerl zur Eröffnung ihrer ersten Einzelausstellung in München.

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