Leben in ungemachten Betten – oder: Wann ist Kunst Arbeit?

Behausung, Arbeitsfläche, Ausstellungsort, Bühne, Skulptur und Ort für Phantasterei. Für das Buch „The Artist’s House“ hat die Wahl-Berlinerin Kirsty Bell zeitgenössische Künstler wie Katharina Grosse besucht und mit ihnen über die Bedeutung ihres Wohnraums gesprochen. Ein Abend mit ihr war das passende Abschlussprogramm zur Ausstellung „Im Tempel des Ich“, die am 2. März das letzte Mal ihre Tore öffnet. Jovana Reisinger, Künstlerin und HFF-Studentin, pflegt bei mucbook die Rubrik „Das Rezensionsbuero“. Sie machte sich bei der Lesung mit Kirsty Bell ein paar Gedanken über das Künstlersein im teuren durchreglementierten München.

In München können Künstler nur dann eine Atelierförderung bekommen, wenn hierbei klar ersichtlich ist, dass es sich um einen Arbeitsraum handelt. Was ist denn ein Atelier? Ist das der mit altem Holzboden versetzte, weiße Raum mit hohen Decken, Leinwänden, Staffeleien und Farben auf Mauer und Holz, in dem es nach Kaffee oder Drogen riecht, der nach Exzess und Chaos ruft und akribischer Arbeit? Ist das der kleine Raum mit PVC-Boden und einem kleinen Fenster am Ende des schlauchartigen Zimmers in dem nur ein großer Schreibtisch steht und Neonröhren lästig surren und einen selbst daran erinnern, weiter zu machen? Geht es um die Zeit die man dort
verbringt oder doch um die Dinge, die man dort tut?

Die Stadt München möchte jedenfalls nicht, dass in jenen wohl magischen Räumen in denen das Kunstwerk entsteht, die Künstler auch noch gleich schlafen, essen, duschen oder nichts tun. Dass sie dort angemeldet sind, ihre Post bekommen, ihren Beziehungen nachgehen. Das Atelier ist der Arbeitsraum. Im Arbeitsraum wird nicht gewohnt. Im Arbeitsraum wird nicht gelebt. Da wird geschaffen. Hoffentlich Großes. Sonst gibts keine Förderung. Die letzte Instanz. Dass das ganz nebenbei ein zeitgenössisches Anliegen ist, von Zuhause aus arbeiten zu können, wird nicht bedacht.

Kirsty Bell ist Kunsthistorikerin und hat sich Häuser angesehen. Viele Häuser. Sie hat eine Frage gestellt, das hat sie laut getan und viele haben zurückgebrüllt. Welche Auswirkungen oder Einflüsse haben (Arbeits-)Räume auf die Künstler, haben vielmehr ihre Arbeitsräume auf ihre Werke? Was passiert mit dem Material, den Alltagsgegenständen, wenn sich gerade unsere Erwartungen an Wohnen und Arbeiten ändern? Wie beeinflusst sich alles gegenseitig – und was, wenn das Prinzip des Raumes aufgebrochen und selbst Teil des Kunstwerkes wird? Wie lebt eine Schaffende in ihrem eigenen Atelier, in dem ihre Arbeiten entstehen und führt dort auch noch ihr Privatleben?

Franz von Stuck hat beispielsweise seine Villa selbst entworfen, hat sich die Innenausstattung ausgedacht. Weil er aus seinem eigenen Haus ein eigenes Werk kreieren wollte. Das gibt es schon auch. Aber nur um diese super Extravaganz geht es nicht. Es geht nicht um den Merzbau oder um Julian Schnabels Haus. Vielmehr beobachtet Bell, wie es geht, zwischen Alltag, zwischen Kopfschmerz, gewaschener Wäsche und einem leeren Kühlschrank Leistung zu erbringen und sie gibt Antworten auf die Frage: Wie sehen diese herrlichen Orte eigentlich aus? Warum wollen Künstler in den Räumen, die sie inspirieren, auch leben oder schlafen wie Katharina Grosse in ihrem zu einer Installation gewandeltem Schlafzimmer auf einer extra Matratze.

In ihrem Buch „The Artist’s House“ zeigt Bell zwanzig solcher Häuser und Wohnungen, recherchierte und besuchte diese Etablissements über drei Jahre hinweg und präsentiert auf dreihundert Seiten ihre Ergebnisse. Es geht nicht darum, einen Querschnitt zu präsentieren, die aufregendste Architektur oder die reichsten Künstler mit ihren besondersten Butzen, um noch einmal zu verdeutlichen wir irre der Kunstmarkt ist. Es geht vielmehr um Leben und Schaffen. Und wo man das tut.

Die Tür zu meinem Atelier ist eine alte Holztür, die knarrt, wenn man sie zu langsam aufmacht. Immer dann, wenn jemand hier schläft, wacht er erst davon auf, bevor er mich arbeiten hört. Ich wohne in meinem Atelier. Andere Menschen, die hier mit mir über ihre oder meine Arbeit sprechen, sitzen oft mit einem Kaffee auf meinem kleinen Bett in der Ecke oder auf einem alten Perserteppich im anderen Zimmer.

Erst habe ich mich in diese Räume als Atelier verliebt, dann wollte ich auch gleich noch hier schlafen, leben. Oft habe ich erkannt, die Bestimmung der Räume verändert sich, wie ich mit ihnen umgehe. An diesem Ort lebe ich zwischen all meinen Interessen und Bereichen in denen ich arbeite; hier kommen Freunde zu Besuch, hier essen wir, oder haben wir Sex, hier schauen wir Filme, lesen, trinken Wein oder schlafen lange oder zu kurz.

Dann wieder ist das der Ort, an dem ich arbeite, in dem ich Kunden empfange, Verträge beschließe oder Aufträge erledige, meine Projekte ändere, abschließe, verpacke, verschicke, sie in einem Umzugskarton stapel. Manchmal arbeite ich vom Bett aus. Manchmal nackt. Manchmal am Schreibtisch in einem guten Kleid. Sind das die Unterschiede zwischen einem Wohn- und Arbeitsbereich und gelten diese etwa auch für die Kunst?

Vielleicht geht es um eine gewisse Ordnung. So wie Mark Leckey, der nach Auszug aus seinem Atelier in dem er auch lebte, seine Tür mitnahm. Die steht jetzt in einer seiner Ausstellungen. Es ist eine ganz normale, alte und benutzte Holztüre. Wir könnten dahinter leben. Eine Malerin könnte dahinter arbeiten. Die Stadt könnte sich fragen, was da eigentlich passiert.

Einen Blick ins Buch gibt es hier auf der Seite von DONLON BOOKS.

Foto: Nic Tenwiggenhorn mit einem „ungemachten Bett“ von Katharina Grosse.

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