Riechen, nicht Schauen: über eine Ausstellung der Gerüche 

Inoue Hisako

Die japanische Künstlerin Hisako Inoue stellt im Rahmen der Reihe RICOCHET eine Bibliothek der Gerüche in den Historischen Räumen der Villa Stuck aus. Über eine Ausstellung, die alle Sinne anspricht.

Duftende Bücher 

Unter schweren Glasglocken liegen die alten Bücher und duften ihren Geruch aus, den sie über Jahre und Jahrzehnte hinweg in sich aufgenommen haben. 

Inoue Villa Stuck

Hisako Inoue sammelte letztes Jahr hier in München besonders intensiv riechende Bücher aus Antiquariaten, von Flohmärkten und aus den Regalen von Freunden zusammen. 22 dieser Bücher, darunter eine Bibel oder ein »Lustiges Taschenbuch«, werden nun ausgestellt. 

Natürlich analysierte die Künstlerin diese Gerüche, und zwar mit der Geruchsforscherin Mika Shirasu und der Hilfe eines GCMS-Geräts (Gaschromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung). Damit lassen sich alle Aroma- und Geruchsstoffe genau analysieren. Aus zehn besonders intensiv riechenden Büchern wurden so 18 Geruchsbestandteile analysiert, die extrahiert in Glasflakons im Boudoir Franz von Stucks auf feine Nasen warten. 

Geruchs-Erinnerungen

Düfte triggern unser Gedächtnis und können Gefühle und Gemütszustände aufrufen, die um ein vielfaches intensiver sind, als die durch das Sehen und Hören geweckten. Das geht soweit, dass der gesamte Kontext, in dem ein Geruch einst wahrgenommen wurde, wieder wachgerufen wird. Auch Hisako Inoue dienen die Gerüche der Bücher als Kommunikationswerkzeuge für Gefühle und Erinnerungen. 

Sie fragt also: Riecht das Buch wirklich nach dem süßen Kuchen der Großmutter? Nach Kindertagen, den modrigen Mauern einer alten Burg – oder doch vielleicht nach einem älteren, modisch gekleideten Herrn?

hisako inoue

Kōdō, oder das Lauschen auf den Duft

In Japan gibt es eine traditionsreiche Geruchskultur, die weit zurückreicht. Inoue sieht sich in der Tradition der japanischen Duftzeremonie, einer weltweit einzigartige Form der Duftkultur, die unter dem Namen kōdō bekannt ist. Wörtlich übersetzt, bedeutet das „Lauschen auf den Duft“. Dabei geht es um die Geruchs-Einführung der TeilnehmerInnen in eine Auswahl duftender Hölzer durch den Zeremonienmeister in kontemplativ-meditativer Stimmung. Kōdō ist eine der drei klassischen japanischen Künste der Verfeinerung und dient der Vervollkommnung der Geruchs-Wahrnehmung. 

Hisako Inoue bietet im Rahmen der Ausstellung Workshops an, in denen sie die Methode der Duftzeremonie anwendet. Ihre Geruchskunst sieht sie als Kommunikationsmodell, eine moderne Version der japanischen Duftzeremonie, die individuelle Erinnerungen und Assoziationen der BesucherInnen wachruft und ins Gespräch darüber bringt. 

Über einen vernachlässigten Sinn

Das 20. Jahrhundert stand ganz im Trend, Alltagsgerüchen den Garaus zu machen. Kosmetische und pharmazeutische Unternehmen entwickeln fortlaufend neue Duftstoffe, um ungeliebte Alltagsgerüche zu verdrängen. Eine ästhetische Bewertung von Gerüchen wurde dadurch immer schwieriger und fördert letztendlich die Geruchs-Intoleranz. Man kategorisiert automatisch Geruchloses, beziehungsweise Wohlriechendes als sauber, geordnet, schön und zivilisiert auf der einen und Stinkendes als Symbol des sozial Untergeordneten, Animalischen, Unzivilisierten und Schmutzigen auf der anderen Seite. 

Diese Geruchsbekämpfung – gerade bei der Körperpflege und in öffentlichen Räumen – ist in Japan besonders stark ausgeprägt. Neben Luftreinigern in Kinos werden zum Beispiel in der Hälfte aller japanischen Bibliotheken Buchreinigungsmaschinen eingesetzt, die die Bücher nicht nur reinigen und desinfizieren, sondern auch desodorieren

Bibliothek der Gerueche

Modrig, vanillig, blumig oder doch ranzig?

Doch auch in Deutschland macht sich diese Geruchsintoleranz bemerkbar. Das spärliche Vokabular für Gerüche in der deutschen Sprache bringt das zum Ausdruck. Üblicherweise lassen sich hier Gerüche in Bezug auf den Gegenstand beschreiben, der den Geruch hervorbringt (wie etwa „es riecht nach Gras“). Oder man beschreibt die emotionale Folge eines Geruchs („es riecht gut“). 

In unserer von Bildern geprägten Gesellschaft birgt die Bibliothek der Gerüche von Hisako Inoue die Chance, die Nase nicht nur zum Ein- und Ausatmen zu benutzen, sondern seinen Geruchssinn zu verfeinern und dadurch die eigene Umgebung neu zu entdecken.

Begleitprogramm: Audioguide 

In Zusammenarbeit mit der Hörfunkjournalistin Isabelle Auerbach und den Südbayerischen Wohn- und Werkstätten/SWW entsteht zur Ausstellung »Hisako Inoue: Die Bibliothek der Gerüche« ein Audioguide für blinde, sehbehinderte und sehende Menschen. Ab 17.10. ist der Audioguide im Museum Villa Stuck verfügbar. 

Mehr Infos zum Begleitprogramm gibt es hier. Die Ausstellung läuft vom 7. Oktober 2017 bis 14. Januar 2018.

 


Bilder: Sebastian Gabriel

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