Twen war wie ein Sommertag im Freibad – zur Willy Fleckhaus-Ausstellung

Vernissage_Willy Fleckhaus_web_-95

Nein, das ist kein Scherz: vor knapp einem Jahr erschien der Klassiker „Moby Dick“ in einer ganz besonderen Neuauflage. „Emoji Dick“ heißt die radikale Publikation, denn in ihr findet sich kein einziger Buchstabe. Das Walfängerdrama wurde von Internetnutzern gänzlich in Emoticons übersetzt.

Gerade in den sozialen Netzwerken ersetzen visuelle Snaps und Stories immer mehr die Textnachricht. Schätzungen gehen davon aus, dass pro Jahr ca. 40 Milliarden Bilder über soziale Netzwerke wie Facebook, Snapchat und Instagram geteilt werden. Eine visuelle Flut, die ein Novum in der Menschheitsgeschichte ist.

Gegen die Bleiwüsten

Willi Fleckhaus, Bildbesessener, legendärer Art Director und jetzt von der Villa Stuck in einer Ausstellung Geehrter, gehörte nach dem Zweiten Weltkrieg zu den Ersten, die diese Ausdruckskraft der Bilder erkannten. Statt Bleiwüsten, wie im Verlegerslang die mit kleingedruckten Buchstaben überfüllten Seiten heißen, reservierte Fleckhaus schon mal eine Doppelseite exklusiv für eine einziges, querformatiges Foto.

Und auch bei der Größe der visuellen Elemente schlug er neue Pfade ein: „Wir bilden Körperteile so ab, als ob da auf der Seite ein Stück vom Menschen ist.“

Es war dieser visuelle Befreiungsschlag, mit der die Zeitschrift „Twen“ 1959 den Nachkriegsstaub von den Zeitungsständen pustete. Als Art Director prägte Fleckhaus das Layout und erhob Versalien, die ganze Spalten einnahmen und natürlich Bilder zum Stilprinzip.

Lippen, die in Übergröße Kioskkunden besäuselten oder gerne auch lockende Schönheiten in knallgelben Bikinis schmückten die Cover. Die Freizügigkeit der 60er gepaart mit den neuesten Grafiktrends aus Amerika: Twen war wie ein Sommertag im Freibad. Ein Lebensstil, der visuell transportiert wurde.

Layout, das manipuliert?

Wie stark Bilder auf das Gehirn wirken zeigen heute Computertomographien. Während beim Lesen eines Wortes zunächst nur das Sprachzentrum reagiert, leuchten beim Anblick eines Bildes die unterschiedlichsten Hirnregionen auf. Emotionen lassen den Betrachter aufmerksam werden, Emotionen können aber auch suggestiv Botschaften transportieren oder, radikal gesagt, manipulieren. Das war es auch was Fleckhaus verschiedentlich vorgeworfen wurde.

Seine rhythmische Montierung von Bildfolgen oder die Close-Ups von Gesichtern war manchem Intellektuellen der alten Garde nicht ganz geheuer. Otl Aicher, neben Fleckhaus wohl der bekannteste Gestalter Deutschlands, verwendete Fotos eher wie Fußnoten, die dem Text Glaubwürdigkeit gaben. Kein Wunder, dass zwischen beiden nie eine Freundschaft aufkam.

Die Kraft von Weißraum und Fotografie

Schaut man sich heute am Kiosk um, so sieht man überall das Erbe von Fleckhaus. Fotografie und Weißraum haben die verhasste Bleiwüste endgültig abgelöst und das Lesen eines Artikels darf ruhig auch Spaß bereiten.

Eine Zeitschrift“, so sagte Fleckhaus einmal „ist etwas Dreidimensionales (…) sie ist ein Erlebnis“. Ob Fleckhaus heute die Möglichkeiten der digitalen Medien genutzt hätte, wissen wir nicht. Aber ein lachendes Emoticon, dass hätte sich durchaus mal in sein Layout einschleichen können.

 

Dieser Artikel stammt von Julian Stalter aus der Reihe „Blog-Studenten“. Julian Stalter ist Student der Kunstgeschichte, 27, Symbolismus-Fan, aber auch sehr an zeitgenössischer Kunst & Design interessiert. Schreibt auch bei der Bayerischen Akademie des Schreibens im Literaturhaus und ist hoffentlich bald auch wieder journalistisch aktiv. Zudem nahm er am Kunstgeschichtsseminar „Museum und Internet“ von Prof. Dr. Hubertus Kohle teil.

 

 

Beitragsbild: Christin Büttner

Tags:

Kommentare sind geschlossen.