Die Eröffnung unserer neuen Ausstellung COLLECTING HISTORIES ist ein Glücksfall im doppelten Sinne. Zum einen, weil wir sie den Besucher*innen trotz Pandemie vor Ort präsentieren dürfen. Zum anderen, weil sie das Resultat vieler dankenswerter Fügungen der letzten Monate ist.
2020 konnten wir die Sammlung des Museums Villa Stuck durch Neuerwerbungen, Schenkungen und eine sehr besondere Dauerleihgabe vielfältig erweitern. Wichtige Werke der Porträtmalerei, Pastelle, Plakate, Aquarelle, ein vor langer Zeit verschenktes Möbel sowie die ersten 13 Jahrgänge der politisch-satirischen Wochenzeitschrift Simplicissimus bereichern nun die größte öffentliche Sammlung der Werke Franz von Stucks im Künstlerhaus Villa Stuck. Sie werden für die Ausstellung im Kontext unseren historischen Räumen präsentiert.
Die neuen Exponate zeigen die Vielfalt, aber auch die Metamorphosen im Schaffen von Franz von Stuck. In einer frühen Aquarell-Zeichnung von 1889 etwa inszeniert sich der spätere Malerfürst als bocksbeiniger Satyr selbstironisch neben Nymphen und Kind. Eine weitere Version seines berühmten Bildes „Die Sünde“ dagegen offenbart mit seiner schwung- und kraftvollen Technik das Selbstbewusstsein eines arrivierten Künstlers.
Auch in den neuen Erwerbungen sind die für Franz von Stuck typischen, antiken Bezüge seiner Motive immer wieder zu entdecken. Zugleich sind eine Reihe von Werken auch faszinierende Zeugnisse europäischer Kunst- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts zwischen Kiew, London und München. Zwei Kinderporträts der Geschwister Vera und Alexander Saitzoff, die Franz von Stuck 1913 malte, gelangten etwa über die Witwe des Sohnes der abgebildeten Vera Saitzoff nun wieder zu uns. Die Kinder Saitzoff entstammten seinerzeit einer Fabrikanten-Familie und mussten in den Revolutionswirren 1917/18 aus ihrer Heimat Kiew in den Westen fliehen.
Der Ehemann der Schenkerin dieses Bilds, Francis Haskell (London 1928-2000, Oxford), zählt zu den bedeutendsten und originellsten Kunsthistorikern des 20. Jahrhunderts. Zu verdanken ist diese ungewöhnliche Schenkung auch der Initiative von Sir Nicholas Penny, von 2008 bis 2015 Direktor der National Gallery in London, der den Kontakt zu uns herstellte. Seit einem gemeinsamen Besuch von Haskell und Penny in München in den 1980er Jahren waren beide erklärte Fans des neoklassizistischen Künstlerhauses Franz von Stucks. In Zeiten von Kontaktbeschränkungen und Brexit ist diese Schenkung ein ganz besonderes Zeichen der künstlerischen Verbundenheit über Orte und Zeiten hinweg.
Historisch konnotiert ist auch die Schenkung eines Familienschatzes: das Bildnis des Prinzregenten Luitpold – hier mit dem lebhaften Blick seiner zwinkernden Augen. Das Gemälde zeigt den 76-jährigen nicht etwa in Uniform oder in der historischen Tracht des Wittelsbacher St. Hubertusordens, sondern zivil in einem selten veristischen Altersporträt. Es ist eine besondere historische Pointe, dass Bayerns Prinzregent Luitpold, der als großer Kunstförderer galt und unter dessen Regiment Bayern eine künstlerische sowie kulturelle Blütezeit erlebte, hier in der Prinzregentenstraße wieder sichtbar wird. Kuratorin Margot Brandlhuber erinnert am Nachmittag der Ausstellungseröffnung an die zahlreichen überlieferten Überraschungsbesuche des Regenten in den Ateliers junger Künstler*innen in München mit der süffisant-drohenden Parole „Aufmachen, Wittelsbach!“. Besuche, die nicht selten der Publicity und dem späteren Ruhm der aufstrebenden Künstler*innen sehr zuträglich waren.
Aufmerksam wandern die Blicke der Besucher*innen an diesem Eröffnungstag auch über die in Vitrinen aufgeschlagenen und präsentierten Exemplare der ersten 13 Jahresausgaben der legendären Münchner Satirezeitschrift „Simplicissimus“ (1896-1944). Die Avantgarde junger Zeichner in München wie Th. Th. Heine, Bruno Paul oder Olaf Gulbransson führte das Wochenblatt mit kraftvoll kolorierten Zeichnungen und spitzen Kritiken in den bisweilen radikalen Karikaturen schon wenige Jahre nach dem ersten Erscheinen zu einem Höhenflug. Viele später bedeutende Schriftsteller*innen wie etwa Thomas Mann, Erich Kästner oder Hermann Hesse veröffentlichten Texte im Simplicissimus. International gilt sie als exzellente Quelle für Zeitgeschichte. Die vorliegende Sammlung dieser Jahresausgaben stammt ursprünglich aus der Bibliothek eines später aufgelösten Amtsgerichts und konnte nun mit Hilfe des Vereins zur Förderung der Stiftung Villa Stuck e.V. aus Privatbesitz erworben werden.
In den historischen Räumen der Villa Stuck sind die neuen Exponate authentisch und intim erfahrbar. Hier, wo Franz von Stuck früher arbeitete und regelmäßig Gäste empfing. Sein ikonisches „Skandalwerk“ etwa, Die Sünde, wird dank einer neuen Dauerleihgabe nun kongenial von einer zweiten Version in Pastell ergänzt, sie sind im direkten Spannungsfeld zueinander erlebbar.
„Die Nachfrage nach diesem Bild – von Seiten internationaler Museen, aber auch von Privatleuten – war so groß, dass Stuck über einen längeren Zeitraum immer wieder neue Versionen produziert hat”, erklärt Kuratorin Margot Brandlhuber dazu am Nachmittag bei einer Online-Führung durch die Ausstellung. Die eindringliche und auratische Wirkung, die das Bild auf das Publikum entfachte, ist in vielen Memoiren und Berichten überliefert. Insgesamt 13 Versionen der Sünde kennt man heute, die sich in Museen und Sammlungen von Seattle, über Berlin bis nach Palermo befinden.
Die Menge der Schenkungen, Erwerbungen und Dauerleihgaben aus den letzten Monaten ist in der erfahrenen Frequenz eine sehr besondere, betont Sammlungsleiterin Margot Brandlhuber an diesem Tag weiter. Ihr besonderer Dank gilt deshalb den Mitgliedern des Vereins zur Förderung der Stiftung Villa Stuck e.V., deren Schenkungen diese Ausstellung unter anderem überhaupt erst möglich machen.
Fotos: Mirja Kofler