Ein großes und vielfältiges Programm, das sich „zwischen wissenschaftlichem Symposium und Festival“ bewegte, wie Kurator Roland Wenninger einleitend erklärte, gab es zum Ende der Ausstellung „Bis ans Ende der Welt und über den Rand – mit Adolf Wölfli“ von Freitag, 13.08. bis Sonntag,15.08., in der Villa Stuck zu bestaunen. Konzerte, Vorträge, Führungen, Esperanto-Kurse und eine fünfstündige Performance übertrugen die Kraft der Kunst – die „Power of Art“, die bereits in der Ausstellung beschworen wurde.
Einen praktischen Einstieg lieferte der Aktionist, Künstler und Friedensaktivist Parzival’ mit einem dreiteiligen Esperanto-Sprachkurs. Dabei kam die Kunst nicht zu kurz, denn Parzival’ ließ Skulpturen von Alberto Giacometti kurzerhand Esperanto sprechen: Die Figuren sprachen grammatikalisch einfache, aber bedeutungsschwere Sätze: „Ich bin glücklich“ oder „Ich war in Nagasaki“ – auf Esperanto versteht sich. Anhand dieser Beispiele, die weltberühmte Kunst ganz nebenbei und unauffällig in andere Kontexte rückten, brachte der gebürtige Baseler, der selbst einige Zeit an Wölflis Schaffensort Waldau bei Bern gelebt hatte, den Teilnehmern die Weltfriedenssprache Esperanto bei.
Bei strahlendem Sonnenschein und kühlen Getränken fanden am Samstagnachmittag die Vorträge im Künstlergarten statt. Astrid Fendt, Konservatorin der staatlichen Antikensammlungen München, sprach über ein altes und dennoch brandaktuelles Thema: Die Darstellung von Frauen durch Männer in der Kunst am Beispiel des Amazonenmythos: „Der antike Amazonenmythos reicht bis in die heutige Welt hinein“, erklärte sie. Wonderwoman zum Beispiel, die Comic-Figur, die gerade mit zwei Filmadaptionen in den letzten Jahren im Kino zu sehen war: Eigenständig und stark, aber auch „sexualisiert und erotisiert“. Frauen, in die sich Männer erst mit dem Brechen der Unabhängigkeit und Stärke oder sogar dem Femizid verlieben können. Wie Achill, der sich in die sterbende, von ihm im Kampf erschlagene Penthesilea verliebt. Auch in Wölflis Werk (und bei Franz von Stuck) spielen Darstellungen von Frauen eine zentrale Rolle, so die Archäologin. In Wölflis Welt trifft „Sankt Adolf II.“ Frauen, die einer „kollektiven Fantasie“ entsprungen sind: Königinnen, Heilige und Schönheiten aus der Welt der Werbung und des Konsums. Die Darstellungen dieser Frauen sind Spiegel typisch männlicher Ideen von Weiblichkeit, Schönheit und Erotik.
Aber, so das Fazit Fendts: Der Mythos der Amazonen hat die Erschaffung durch die Männer in Teilen dennoch überwunden. Im Hellenismus begannen Frauen die Amazonen religiös zu verehren: Um 430 v. Chr. schrieb die Stadt Ephesos einen Wettbewerb aus, für das Heiligtum eine Statue einer Amazone zu schaffen. Auch sonst wurden Städtegründungen, eben zum Beispiel von Ephesos, auf Amazonen zurückgeführt, obwohl diese nachweislich nie existiert hätten.
Passend zu Joseph Beuys war Rhea Thönges-Stringaris Vortrag voller Denkanstöße und Anregungen. Eine Annäherung an einen Künstler, der, genau wie Wölfli, Grenzen überschritt. Die langjährig Wegbegleiterin des Künstlers erzählte von Begegnungen und Gesprächen beim Schaffen der Installation „Das Ende des 20. Jahrhunderts“. Sie analysierte, interpretierte und gab auch Beuys Reaktionen zu ihren Gedanken zu Protokoll. Bemerkenswert am Vortrag der 87-jährigen Thönges-Stringaris war die freie und persönliche Rede: Passend zum Thema Grenzüberschreitungen verband Thönges-Stringaris überlegt Wissenschaft und Poesie und gab gleichzeitig einige Statements zu aktuellen Debatten. Sie rückte „Das Ende des 20. Jahrhunderts“ in den Kontext von „7000 Eichen“ und stellte die beiden Kunstwerke als unzertrennbar gegenüber: Während die Basaltsäulen beim Ende des 20. Jahrhunderts in der Schwere, in der Horizontalen verbleiben und dem Betrachter als „indirekte Mitteilung“ verschlossen bleiben, wachsen die „7000 Eichen“ in die Vertikale, gegen die Schwere. „Das helle Leuchten der „7000 Eichen“ braucht die dunkle Warnung des Ende des 20. Jahrhunderts, den Zorn einer Greta Thunberg“. Thönges-Stringaris schloss mit einem Satz von Joseph Beuys, den er zu Mitarbeitern gesagt hatte: „Das einzige Sinnvolle, was im 20. Jahrhundert passiert ist, sind Bäume, Pflanzen und Löcher in Steine bohren.“
Um Befreiung, Grenzüberschreitung und Weltveränderung ging es im anschließenden Künstlergespräch zwischen Axel Heil und Udo Breger. Ihr Gespräch trug den poetischen Titel: „When Dreams Come Untrue“, Brion Gysin, William S. Burroughs und die Beats“. Auf einer persönlichen Ebene seien die Lebensentwürfe von Wölfli und Burroughs Collagen aus „der Realität und der eigenen Realität“, erklärte Breger. Ihr Schaffen eigener Weltideen sei aber „zum Scheitern bestimmt”. Breger erzählte freimütig von Treffen mit Burroughs und Gysin in London und später in New York und ermöglichte somit einen persönlichen Blick auf die Welt der Beatniks.
Ein atemberaubendes und fulminantes Konzert mit der Schauspielerin Meret Matter (Gesang und Gitarre) und und dem Musiker Lucas Niggli (Schlagzeug) stetze am Freitag- und Samstagabend einen der Höhepunkte des Festivals. Während Niggli aus dem Schlagwerk alle erdenkbaren Rhythmen hervor zauberte, trug Matter mit großer emotionaler Tiefe Texte von Adolf Wölfli vor. Meret Matter und Lucas Niggli gelang es in ihrem Konzert, die Schönheit und Schaffensfreude, aber auch die Getriebenheit Wölfis zu übertragen und damit das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Bis an den Rand der Welt brachten die beiden auch ihre Zuhörer: Mit „Nun sind wir an der Höllenpforte angelangt/ Und wir gehen nicht hinein!“ endete ihre Aufführung.
Den Schlusspunkt am Sonntag schließlich setzte die international bekannte Performance Künstlerin Nezaket Ekici mit ihrer Performance „25.000“, die sie eigens für die Adolf Wölfli Ausstellung in München konzipierte. Die intensive Performance ist eine Hommage an die Schaffenskraft von Adolf Wölfli, an den Überfluss, den Exzess sowie die Grenzenlosigkeit in seiner künstlerischen Arbeit. Gleichzeitig verweist sie aber auch auf das weit verbreitete Phänomen des „Künstler-Machos“, der sein riesiges Werk selbstbewußt in die Welt setzt und am eigenen Künstler-Mythos baut. Wölflis Werk und Schaffen kann durchaus als archetypisch für diese Figur eines Künstlers gelten. In ihrer fünfstündigen Performance ging Ekici körperlich und mental bis an ihre Grenzen und lud die Zuschauer*innen ein letztes Mal zur gemeinsamen künstlerischen Reise an die flirrenden Ränder unserer Existenz.
Fotos: © Sebastian Stiphout (außer letztes Foto: © Michael Buhrs)
Mehr zu Adolf Wölfli? Die Zeitung zur Ausstellung – mit künstlerischen Beiträgen von u.a. Tania Bruguera, Allen Ginsberg, Thomas Hirschhorn, Judith Holofernes, Parzival‘, Franz von Stuck, Karl Valentin sowie einem Abdruck der 1976 veröffentlichten „Gegenüberstellung der biographischen Daten Wölflis mit seiner imaginären Lebensgeschichte und der Entstehungsgeschichte seines Werkes“ von Elka Spoerri – gibt es weiterhin kostenlos bei uns in der Villa Stuck am Eingang. Sie führt das Prinzip des Dialogs der Künste, das in der Ausstellung verfolgt wurde, fort und lässt sich auf zauberhafte Weise sogar in ein Adolf Wölfli Poster verwandeln. Einfach vorbei kommen und abholen!
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