Lesestoff für die Wartezeit

Das Künstlergespräch von Professor Prof. Gerhard Schweppenhäuser mit Samantha Dietmar musste wegen Krankheit verschoben werden. Offene Fragen und Gesprächsstoff gibt es aber auch jetzt schon genug. Darum dokumentieren wir hier in mehreren Folgen ein Interview, dass die Kuratorin Sabine Schmid mit der Fotografin geführt hat. Im ersten Teil geht es um die Verortung ihrer Bilder zwischen subjektiver Kunst und objektivem Journalisums. Natürlich zeigen wir dazu auch wieder ein paar Bilder.

Das ungekürzte Interview ist im Katalog Ricochet#2 nachzulesen, der neben den Bildern der Ausstellung viele unveröffentlichte Fotos zeigt. Den Katalog gibt es im Museumsshop der Villa Stuck.

In der Ausstellung ist eine Auswahl von über 60 Fotografien deiner Arbeit ÜBER VIELES. UND NICHTS. zu sehen; insgesamt umfasst sie mehr als 250 Fotografien. Mit welchen Inhalten setzt du dich in dieser Arbeit auseinander?

Samantha Dietmar: Ich habe eine sehr persönliche Bilderwelt zusammengetragen. Mal künstlerisch, mal journalistisch. Mal laut, mal leise. Es geht um Schönheit im Alltag, Momentaufnahmen, Seltsames und Banales. Um Konflikte, Missstände und Ungerechtigkeiten. Aber auch um Glück, Hoffnung und Mut. Ein Fotoskizzenbuch meiner Gedanken, meiner Sicht der Dinge, entstanden auf Reisen und in meinem Alltag. Zugänglich als Einzelbilder, aber auch in der Gruppe. Ein Beobachten und Nachdenken über das Leben. Eine Sinnsuche.

Deine Aufnahmen aus Deutschland sind Beobachtungen des Alltags: die vereiste Autoscheibe im Winter, der schmutzige Aschenbecher in einer Kneipe, der wolkenverhangene Himmel am Abend, das nahezu leere Aquarium, das schmutzige, sich stapelnde Geschirr in der WG-Küche, ein akkurater Stapel von unzähligen Tageszeitungen.

Meine alte Nikon ist immer dabei. Ich liebe es, wenn plötzlich auf den ersten Blick Unscheinbares die motivische Hauptrolle einnimmt. Es geht ums Hinsehen. Vielen fallen solche Arrangements des Alltags womöglich gar nicht weiter auf. Oder sie können ihnen vielleicht nichts abgewinnen. Mir geht es da anders. Alles ist zu finden: von der banalen Situationskomik bis hin zur Ironie. Eine sich täglich vermehrende Wand aus Worten und Papier begrüßt beispielsweise die Gäste in der Wohnung eines Freundes in Berlin. Er kommt mit dem Lesen nicht hinterher, will all dies Wissen aber lieber um sich haben, als es wegzuwerfen.

„Abstrakter Straßenverkehr“, so der Titel einer in New York aufgenommenen Fotografie mit Langzeitbelichtung. Weitere Fotografien zeigen ein Treppenhaus in Paris, in welches Licht einfällt, auf einer Straßenlaterne sitzende Vögel, eine Reihung der Schatten von Straßenlaternen auf einem Bahnsteig in New York und die Spiegelung des Berliner Fernsehturms in einer Regenpfütze. Du selbst bist der Ansicht, vor dem „analytisch-objektiven“ Ansatz sei der „künstlerisch-subjektive“ vorrangig. Rücken hier spezifisch fotografische Qualitäten in den Vordergrund? Ähnlich der subjektiven Fotografie, über welche Otto Steinert schreibt: „Subjektive Fotografie heißt vermenschlichte, individualisierte Fotografie, bedeutet Handhabung der Kamera, um den Einzelobjekten ihrem Wesen entsprechende Bildsichten abzugewinnen.“ Findet sich davon auch etwas in deiner Arbeit?

Ja, bei diesen Fotografien gehe ich bewusst weg von der dokumentarischen Übermittlung der Realität. Es geht um den metaphorischen, poetischen Moment der Fotografie, des Motivs an sich. Und natürlich hier vor allen Dingen um meine ganz eigene Interpretation. Zumeist in körnigem Schwarz-Weiß wird Fotografie künstlerisch verwendet. Ich brauche nicht immer ein Konzept oder ein durchdachtes Projekt, um zu fotografieren. Manchmal begegnen mir einfach Momente, die ich für mich festhalten möchte. Nicht selten passiert dies auch ganz unverhofft und neben meiner eigentlichen fotografischen Arbeit. Es gefällt mir zu abstrahieren, es bringt eine gewisse Allgemeingültigkeit in die Fotografien.

Bei deinen Motiven und Themen finden Sich gleichermaßen Sprüche und Graffitis von Quertreibern, Aktionisten und Straßenpoeten wie auch Zeichen unserer kommerzialisierten Warenwelt, beispielsweise bei Reklame, und Spuren öffentlicher Ordnung, beispielsweise bei Gebotsschildern und Anzeigetafeln. Sind diese Fragmente Stellvertreter für eine weitere Sinnebene?

Diese Ideen-Fragmente aus den Köpfen Anderer, die einem überall auf der Welt begegnen, sprechen mir oftmals aus der Seele oder bekommen ein Rendezvous mit meiner Gedankenwelt. Sie haben affirmativen Charakter. Kurz und prägnant stellen sie bloß, kritisieren oder lassen einen einfach nur schmunzeln. Sie bestätigen, dass überall in dieser Welt wache, kritische Augen weilen. Aber auch die Isolierung von Gebotsschildern oder Reklame aus ihrem Zusammenhang kreiert eine neue Bedeutungsebene, die ich mir für meine Gedankenwelt zueigen mache.

Findet Sich hier bei den Bildschriftbezügen eine Form von Ironie? Beispielsweise bei der Arbeit „Küchenfenster“? oder auch bei dem fotografischen Stillleben mit Ananas und dem Bild eines Sandwiches.

Ja, speziell diese Motive platzen regelrecht vor Ironie. Solche gepaarten Kombinationen sind rar. „Abendfrieden“ zum Beispiel hatte wohl im Vorfeld seine ganz eigene Geschichte im Streit eines Liebespaares.

Manche deiner Arbeiten aus New York und auch aus Paris lassen sich in die Nähe der Street Photography verorten. Du wendest dich dem alltäglichen Geschehen auf der Straße zu, welche zur Bühne deiner Motive wird. So Beispielsweise bei den Fotografien von drei Amerikanern am Times Square oder von einem kostümierten Mann an einem U-Bahn-Aufgang an Halloween.

Mit kleiner Fotoausrüstung kann ich mich im Großstadtgewusel wunderbar unauffällig und unentdeckt bewegen. Man wird zum kreativen Voyeur der anonymen Szenerie. Nun geht es darum, den richtigen Moment zu erhaschen. Zu entdecken. Schnell zu reagieren. Nichts ist geplant oder die Lichtverhältnisse vorher absehbar. Es bleibt wenig Zeit für Entscheidungen. Man möchte die Menschen in ihrem Treiben nicht stören oder ihnen in ihrem Sich-Unbeobachtet-fühlen zu nahe treten. Sie sollen in ihrer Abbildung anonym bleiben. Stellvertreter sein.

Bei deinen Fotografien aus Argentinien wie auch bei den Aufnahmen in Namibia rückt besonders die Natur als Motiv in den Vordergrund.

Diese Eindrücke rufe ich mir in Erinnerung, wenn es im Hier und Jetzt gerade wieder besonders hektisch ist. Ein Zelt, ein Sternenhimmel. Und einfach NICHTS und gleichzeitig so viel. Die Seele auslüften, den Kopf durchpusten lassen und abwarten, welche kleinen Wunder einem begegnen. Das Zebra-Bild ist die Absage an eine gewisse Seh-Erwartungshaltung. Und war der Sonnenuntergang in Patagonien wohl ein eindrucksvolles Farbspiel, so kommt er dennoch auch in seiner Schwarz-Weiß-Reduzierung wunderbar auf den Punkt.

Der Katalog erscheint im Kerber Verlag, herausgegeben von Michael Buhrs.

Format ca. 21,7 × 28,5 cm
46 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Softcover, gebunden
deutsch / englisch
ISBN 978-3-86678-402-4
15,00 € im Museumsshop

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