Er ist Fotograf, Verleger und Bildjournalist. Seine Fotos kennt man aus dem ZEITMagazin, der NZZ oder seinem Verlag „Book with a Beard“. Jörg Koopmann selbst nennt seine Kunst „Soft-Fact-Photography“. Mit Martin Fengel ist er seit über 15 Jahren eng verbunden: Die Fotografen-Kollegen haben schon zahlreiche gemeinsame Projekte realisiert; unter anderem ist Koopmann Fengels Trauzeuge. Beim aktuellen Fengel-Bild denkt er an Knutschflecken und Liebesnächte mit Tentakel.
„Verlorenes Wissen/ The deep blue you
Martin Fengel ist ein Wissenschafts-Fotograf, in diesem Falle beschäftigt er sich mit der frühen Menschheitsgeschichte;
Schon lange bevor das Schreiben mit Füller und Tinte von der Moderne verabschiedet wurde, hat sich die Wertschätzung gegenüber der Spezies Tintenfisch drastisch verändert. Früher, ja früher, schwer zu sagen wie viele Jahrtausende das eigentlich her ist, gab es die kaum bekannten „tentaklischen Jahrhunderte“, und nur in den Tiefen des weites Meeres tuschelt man noch mit funkelnden Schuppen von dieser wilden Zeit. Achtarmige Kreaturen waren das libertinäre Bindeglied zwischen dem freizügigen Leben der Meeresbewohner und den kulturell gefangenen und ahnungslosen Menschen. Aus dieser Zeit stammt übrigens das Zeichen der flachgelegten Acht, das Unendlichkeitssymbol. Dieser Loop war nichts anderes als das Kürzel oder der Code, dass man von einem achtarmigen Liebesdiener flachgelegt wurde oder werden wollte.
In diesen Zeiten lernte der Mensch unter anderem das Küssen. Man fing bald an, die Blutergüsse von echten Kraken-Saugnäpfen zu imitieren. Teenager heute haben ja keine Ahnung mehr, welch zarte Reminiszenz sie da aufgeregt zelebrieren. Wenn sie von den Ausmassen der versunkenen, sexuellsten Ära bzw Kultur auf diesem Planeten ahnen würden, kämen sie sich extrem konservativ, gehemmt und verklemmt vor. Es scheint schwer diesen Abschnitt der frühen Menschheitsgeschichte genau zu rekapitulieren, die Aufzeichnungen sind rar (diese Weichtiere hatten damals noch keine Tinte um sich vor Feinden zu schützen) und mündliche Überlieferungen wurden mit dem ´stille-Post-Effekt` zu immer aberwitzigeren Legenden über Exzesse der frühesten humanen Generationen und deren Lehrmeistern. Nur anhand von Aussagen einiger weniger Tiefseetaucher, die geduldig den Geschichten in versteckten Ink-Inns, dunklen underwater Octopus-Bars, lauschen konnten, scheint gesichert zu sein, dass die Menschen damals einen unersättlichen Drang entwickelten, die Liebeskünste dieser vielarmigen Supersex-Wesen in Anspruch zu nehmen.
Deren Fantasie, Neugierde und ihre perfekt geformten kräftigen, flexiblen und glitschigen Gliedmassen brachten jede Frau und jeden Mann umgehend an den Rand des Verstandes und lösten neben totaler Ekstase meist eine konkrete sexuelle Abhängigkeit nach immer mehr Meer und immer öfter Öffnung aus. Es war anscheinend ein ewiges endloses Gefummel, Gesauge und Geficke, unbeeindruckt von den unterschiedlichen Lebensräumen. Man arrangierte sich. Sodomie war damals noch kein Begriff, aber alle Beteiligten hatten angeblich beste Laune und grosse Nähe zueinander. Die Tintenfische hatte acht saugstarke Argumente als Botschafter für ein anderes, kaum bekanntes Miteinander. Sie lehrten den grossen tumben Leuten etwas über totale Körperlichkeit, der Geist lag in dem feinsinnigen Ertasten von nervendurchzogenen Regionen, und in endlosen Spielarten den hemmungslosen Dialog von Innen und Aussen zu erleben. Die Menschen fanden es extrem sexy den Kopf auszuschalten– nur im Hier und Jetzt zu sein, analysieren Verhaltenspsychologen heute.
Historiker vermuten, dass diese tierliebe Ära in ihrer Ausrichtung dann bedrohlich wurde für die Menschen, denn es gab kaum mehr menschlichen Nachwuchs. Irgendwann erkannte man damals wohl selbst, dass diese zügellose Lust sich mit den Meeresbewohnern zu vergnügen, die Menschheit ausrotten würde. Unmut kam auf, aber es mag auch an der Eifersucht von einigen Männern gelegen haben, die sich minderwertig oder unnütz wähnten, oder weil sie unglücklicher Weise keine Lust dabei empfanden, wenn ein Tintenfisch an oder in ihnen herumspielte. Jedenfalls wurde offensichtlich erfolgreich Politik gegen die verspielten ´Meeressauger` gemacht, und dieses Talent der Menschen war wohl früh kultiviert.
Ganz schnell war Schluss mit lustig; bald war ein Octopus eher auf dem Grill als in Körperöffnungen zu finden… Wie das halt so geht, man weiss ja was Menschen machen wenn sie von Kontrollverlust oder gar existenziell bedroht scheinen… deren destruktiven Energien und Strategien. Die Liebe zwischen Octo- und Zweibein-Pussy war erledigt! Das ist bisher nur zögerlich und verschämt in die menschlichen Annalen eingegangen. Doch oft, wenn man sieht mit welch versonnenem Blick vor allem Frauen (aus Küstenregionen) in der Küche aus den intelligentesten und freundlichsten Meerestieren Kleinteile schnipseln, kriegt man eine Ahnung, wie tief in der menschlichen Natur das Wissen um eine glückliche, ferne Vergangenheit gespeichert aber verborgen liegt.
Fachleute wissen: wenn man sich die Zeit nimmt über die Wülste eines mittelgrossen Kraken-Saugnapfes zu fingern, erinnert das nicht zufällig an das Gefühl einen menschlichen Muttermund abzutasten! In griechischen Universitätskliniken kann man das noch heute im 5. Semester Gynäkologie-Diagnosetechniken, bei völlig sinnlosen Tierversuchen ertasten bzw studieren. Aber das ist jetzt eine ganz andere Geschichte, ein anderes Foto.
Quelle: Bernhard Grzimek“
Fengel`scher Bildatlas – der Nachklapp: Auf mucbook und im Blog der Villa Stuck zeigen wir noch bis 4. März jeden Montag Texte verschiedener Autoren zu Bildern von Martin Fengel. Die Zugabe rekrutiert sich aus Bildern, die im Rahmen des Kunstprojektes „Wachs“ bereits ihren Platz im Foyer der Villa Stuck gefunden hatten, als das Begleit-Blog startete.
Tags: Fotografie