Dies ist der zweite Teil eines Interviews, das die Kuratorin Sabine Schmid mit der Fotografin Samantha Dietmar geführt hat. Diesmal geht es um die politische Dimension ihrer Arbeit, die vor allem auf einer langen Mexiko-Reise geschärft wurde.
Das ungekürzte Interview ist im Katalog Ricochet#2 nachzulesen, der neben den Bildern der Ausstellung viele unveröffentlichte Fotos zeigt. Den Katalog gibt es im Museumsshop der Villa Stuck. Hier geht es zum ersten Teil des Interviews.
Auf dem G8-Gipfel 2007 hast du in Kühlungsborn und Heiligendamm fernab des Geschehens fotografiert: Politiker oder Aktivisten sind nicht zu sehen, du richtest deinen Fokus auf das menschenleere Umfeld, der Tagungsort selbst ist im Mittelpunkt (Abb. 6).
Ich fand es reizvoll, ein paar Tage vor dem G8-Gipfeltreffen anzureisen. Es bot sich ein skurriles Bild: Polizeiaufgebot an jeder Ecke, Stacheldraht und mittendrin Scharen von Rentnern, die ganz normal ihrem Kuraufenthalt frönten. Wiederum war ich nicht auf der Suche nach etwas Bestimmten. Die entstandenen Fotografien bekommen durch den Hintergrund des Gipfeltreffens ironischen Charakter.
Von deiner Reportage in Mexiko 2007 finden sich in ÜBER VIELES. UND NICHTS. eindringliche Bilder wieder, so beispielsweise die Aufnahmen vom Alltag und den Lebensumständen in den zapatistischen Gemeinden Huixtla oder Oventic (Abb. 13).
Ein weinendes und ein lachendes Auge blitzen auf, wenn ich über die Eindrücke und Erfahrungen dieser Reise spreche. Meine bislang intensivste und auch aufregendste Zeit des Fotografierens. Nie zuvor hatte ich Fotografie so sehr gelebt. Meine Zeit dort beeinflusste mein Denken und Sehen der Welt drastisch und nachhaltig. Die Indígenas haben auch in Mexiko absolut keinen guten Stand. Wir besuchten sie in ihren Dörfern. Vor allem in der zapatistischen Gemeinde Oventic verweilte ich einige Zeit. Ich war berührt von der Wärme und Freundlichkeit, die sie mir entgegenbrachten und sprachlos über die Zufriedenheit in einfachsten Lebensverhältnissen. Weniger kann eben auch tatsächlich mehr sein.
Was war das ursprüngliche Thema deiner Reportage in Mexiko?
Ich war fast am Ende meines Studiums in Würzburg angelangt undwollte ursprünglich für ein Semesterprojekt im Sinne des klassischen Fotojournalismus Land und Leute kennen lernen. Begleitet hat mich eine mexikanische Fotografin und Freundin. Diese Ausgangssituation war gleichzeitig auch ganz wunderbar für ein besseres Verständnis der mexikanischen Kultur und natürlich auch für meine Akzeptanz dort. Wir zogen quer durchs Land. Es war Wahlkampf, eine politisch sehr geladene Zeit. Ich sprach zu Anfang kaum Spanisch und so musste ich viel mit den Augen hören. Ich interessierte mich sehr für Mexikos Ureinwohner und die »einfachen Leute«. Wie sie leben, für ihre Probleme und Konflikte mit der mexikanischen Regierung. Es wurde zu einer sehr emotionalen Angelegenheit für mich. Nach fünf Monaten in Mexiko entwickelte sich das Fotoprojekt zu meiner potenziellen Diplomarbeit. Doch dann kam alles anders. Ich wurde in Atenco böswillig von der Polizei verhaftet und bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ich auch schon zurück nach Deutschland eskortiert. Für meine Diplomarbeit in der bis dato geplanten Form bedeutete dies das Aus.
Eine politische Dimension eröffnet sich, wenn du die vermummten Mitglieder der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) porträtierst oder deren Parteiführer, Subcomandante Marcos, bei seinem Wahlkampf und seinen öff entlichen Kundgebungen begleitest.
Als Gegenbewegung zum offiziellen Wahlkampf war auch La Otra Campaña der Zapatisten im Land unterwegs. Immer wieder kreuzten auch deren Veranstaltungen und Kundgebungen unseren Weg. Wir machten Bekanntschaft mit einigen Alternativmedien-Journalisten und Filmemachern, die die Karawane begleiteten und wir fotografierten selbst auf zahlreichen Veranstaltungen. Es war sehr aufschlussreich und meinungsfestigend, die politische Situation und Lebensumstände so vieler Mexikaner auch von einer anderen, inoffiziellen Seite beleuchtet zu bekommen.
Eine eindringliche Fotografie von Subcomandante Marcos’ Stiefel (Abb. 28) weckt beim Betrachter verschiedenste Assoziationen.
Im gesamten Fotobuch kommen nur wenige ausgewählte Fotografien aus Mexiko vor. Diese sind dafür umso eindringlicher, und oftmals kann man in den Bildern auch meine emotionale Zerrissenheit dieser Zeit spüren. Wie ein Fels in der Brandung: Marcos’ Stiefel. Er hat aber aufgrund meiner persönlichen Erfahrung auch den fahlen Beigeschmack von Gewalt. Jeder interpretiert Bilder aus seinem eigenen Erfahrungsschatz heraus.
Der Katalog erscheint im Kerber Verlag, herausgegeben von Michael Buhrs.
Format ca. 21,7 × 28,5 cm
46 Seiten mit zahlreichen Abbildungen
Softcover, gebunden
deutsch / englisch
ISBN 978-3-86678-402-4
15,00 € im Museumsshop





