Online-Filmprogramm Teil 1 zur Ausstellung »Stimmen«

Malgré les trous de mémoires / In spite of memory lapses: (25. Februar bis 4. März 2021)

Im Rahmen ihrer Ausstellung »Stimmen« kuratiert Maya Schweizer ein weiteres Filmprogramm mit dem Titel »Malgré les trous de mémoires / In spite of memory lapses«, welches in zwei Teilen mit je mehreren filmischen Arbeiten, vom 25. Februar bis 10. März 2021 auf unserem YouTube-Kanal zu sehen ist.

Maya Schweizer: »Das Filmprogramm präsentiert experimentelle Arbeiten, die sich mit Formen von Erinnern und Vergessen beschäftigen. »Malgré les trous de mémoires« (dt.: trotz Gedächtnislücken) spannt einen dramaturgischen Bogen vom hilflosen Versuch, sich an alles erinnern zu wollen, zu der drohenden Gefahr, nichts vergessen zu können.

Der erste Teil des Programms (Living Memory) widmet sich ganz unterschiedlichen Arten der Aufzeichnung von lebendiger Erinnerung und wendet sich dementsprechend lebenden Zeugnissen und biografischen Ansätzen zu. Im Folgenden stellen wir die vier Filme von Living Memory, die vom 25.02. bis zum 04.03. verfügbar sind, detailliert vor.

 

Želimir Žilnik
Inventur – Metzstraße 11
1975, 9 Minuten

Die Bewohner*innen eines Altbaus im Zentrum Münchens werden in diesem Film vorgestellt: die meisten von ihnen sind als Gastarbeiter*innen nach Deutschland immigriert (aus Ex-Jugoslawien, Italien, der Türkei, Griechenland etc.). In ihrer Muttersprache erzählt jede*r von ihnen, wer er*sie ist, und was die größten Sorgen, Hoffnungen und Plänen für die Zukunft er*sie hat.


Buch und Regie: Želimir Žilnik Kamera: Andrej Popović Produktionsleiter: Frank Thomas Aeckerle Produktion: Alligator Film, München

Zelimir Žilnik (geb. 1942) ist ein Künstler und Filmemacher aus Novi Sad, Serbien. In seiner äußerst produktiven Karriere hat Žilnik über 50 Spiel- und Kurzfilme gedreht, die international auf Filmfestivals wie Berlin, Toronto, Rotterdam, Moskau und Oberhausen gezeigt wurden. Seine sozial engagierten Filme im ehemaligen Jugoslawien aber auch die Zensur in den 70er- und 90er-Jahren für seine schonungslose Kritik am Staatsapparat brachten ihm seit den späten 60er-Jahren viele Auszeichnungen ein. Wie ein roter Faden zieht sich seine Beobachtungsgabe durch sein Werk, mit der er aus dem Leben der einfachen Menschen fesselnde Erzählungen hervorzaubert. In jüngster Zeit war Žilnik Gegenstand großer Retrospektiven, u.a. in der Kunsthalle Wien, 2020/21; Centre Pompidou, Paris, 2019; Cinemateca Argentina, 2018; Mar del Plata Int. Film Festival, 2017; Anthology Film Archive, New York & Harvard Film Archive, 2017. Seine Arbeiten wurden in Kunstgalerien, Museen und Kunstinstituten auf der ganzen Welt gezeigt (Documenta, Kassel; Biennale Venedig; ICA London; National Gallery of Art, Washington DC; MUMOK, Wien; MACBA, Barcelona; Museo Universitario Arte Contemporaneo, Mexico City, Mexiko, u.v.m.)

 

SPOT
Wo warst du am 9. Juni 2004?
2017, 2:46 Minuten

SPOTS untersuchen Facetten des NSU-Komplexes. Sie werfen Spotlights auf rassistische Verhältnisse, die rechte Netzwerke und deren Taten erst möglich machen. Sie setzen Ästhetik als politisches Handeln gegen die dominante täterfixierte Bildpolitik und die medialen Überschreibungen rund um den NSU-Komplex ein. Die SPOTS sind in deutscher, englischer und türkischer Sprache umsonst online verfügbar. Für Screenings stellen wir sie als dcps oder mp4-Dateien bereit.

Im SPOT „Wo warst du am 9. Juni 2004?” ruft ein junger Mann seine Erinnerungen an den Nagelbombenanschlag in der Keupstraße herauf.

Entstanden sind die SPOTS im Rahmen des Tribunals „NSU-Komplex auflösen“. Die SPOTS liefen u.a. im Werbeblock unzähliger Kinos. http://tribunal-spots.net

Das bundesweite Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ besteht seit 2014 aus zahlreichen Initiativen, die sich mit strukturellem Rassismus, dem NSU-Komplex, sowie Gedenkkultur beschäftigen und sich für die Perspektiven von Betroffenen rassistischer Gewalt einsetzen. http://www.nsu-tribunal.de

 

Brigitta Kuster und Moise Merlin Mabouna
2006–1892 = 114 ANS/JAHRE
2006, 7 Minuten (deutsch/français OF)

Dem von Joseph Ki-Zerbo verschriftlichten Regelwerk der mündlichen Zeugenschaft folgend, begibt sich der 7-minütige Videoloop rückwärts auf der Route der sogenannten ‚Manguiers Allemands’, entgegen der Vergessenheit, in die das koloniale Projekt vor allem in Deutschland geraten ist, an einen besonderen Ort der Re-Präsenz der ‘Njaman/Nsaman’ (Germans/Vorfahren): Hier, in der Migration, entstehen Perspektiven, die die kontinentalen und nationalen Grenzen unterlaufen und durchstreifen. Sie sind gekennzeichnet durch seine konflikthafte Mobilität der Körper und ihrer Zeichen. Das Video zeichnet eine Erinnerungslandschaft, die zwischen Sachsen-Anhalt / Brandenburg und Mamba/Kamerun oszilliert: Wessen Koordinaten stellt die Rückkehr der Ndjaman auf den Kopf?

Brigitta Kuster und Moise Merlin Mabouna trafen sich 2001 etwa drei Stunden außerhalb Berlins im Camp für Asylbewerber*innen in Zerbst, dem Mabouna zugewiesen wurde, als er aus Kamerun nach Deutschland kam. Brigitta Kuster war dabei, ein Projekt mit den Bewohnern des Lagers zu initiieren, das dann auf der Werkleitz-Biennale 2002 zu sehen war. So wurde die gemeinsame Videoarbeit RIEN NE VAUT QUE LA VIE, MAIS LA VIE MÊME NE VAUT RIEN zum ersten Kapitel einer fortwährenden Zusammenarbeit zwischen Kuster und Mabouna, die im Folgenden das weitgehend verborgene Erbe des kolonialen Engagements Deutschlands in Kamerun untersucht.

 

Alexandra Gerbaulet
Schicht
2015, 28:30 Minuten

In ihrem Film SCHICHT gräbt Alex Gerbaulet ihre Familiengeschichte aus und begibt sich auf einen Schwindel erregenden Trip durch Salzgitter: Eine Stadt wie ein Cyborg mit stählernem Skelett, das Herz schlägt in 1000 Metern Tiefe unter Schichten aus Erde und Beton. Bergbau, Stahlwerk, Musterstadt. Über die Jahre 33 und 45 projiziert sich die erste Nachkriegsgeneration in die Zukunft. Ihr Vater Rudolf lernt in den Reichswerken, arbeitet im Bergbau und bei VW. Mutter Doris erkrankt an Multipler Sklerose. Ihr Tagebuch ist Ausdruck ihres langsamen Verschwindens. Ihre Tochter benennen sie nach einer Sängerin: Alexandra. Die Tochter findet als rebellierende Punkerin einen anderen Rhythmus. Pulsierend, manchmal atemlos, folgt der Film dem Strom freigelegter Geschichten. Heute gefilmte Orte werden mit Archivmaterial attackiert: Propaganda, Nachrichten, Fotos aus Familienalben. Alles wird einer subjektiven Lesart unterworfen. Ein Film zwischen Analyse und Imagination, komponiert aus dem Punk der Jugendjahre, begleitet vom Stahlwerksdröhnen und dem Rauschen der Autobahn. Unterbrochen von der schneidenden Stille stillgelegter Bergwerke, in die ab 2020 radioaktiver Müll verbracht wird. Halbwertzeit 24.000 Jahre. 685 Generationen.

Buch / Regie Alex Gerbaulet Kamera Alex Gerbaulet, Smina Bluth Ton Tom Schön Schnitt Philip Scheffner Sprecherin Susanne Sachsse Produzentin Merle Kröger Koproduzent Uli Plank

Eine Produktion von pong film in Koproduktion mit Institut für Medienforschung an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig Produktion gefördert durch nordmedia, Hessische Filmförderung

Entwicklung gefördert durch Künstlerinnenprogramm des Berliner Senats, Berlinale Talents DOC Station

Weltpremiere 61. Internationale Kurzfilmtage Oberhausen / Deutscher Wettbewerb 2015 Internationale Premiere FID Marseille – International Film Festival Marseille / First Film Competition 2015

Alex Gerbaulet lebt und arbeitet als Filmemacherin und Produzentin in Berlin. Ihre Filme bewegen sich zwischen Videokunst, Essay- und Dokumentarfilm, zwischen aktivistischem Anstoß und fiktionalisierender Reflektion. Zu ihren zum Teil mehrfach ausgezeichnete Filmen gehören u.a. SCHICHT (2015), TIEFENSCHÄRFE (2017, zusammen mit Mareike Bernien) und DIE SCHLÄFERIN (2018). Seit 2014 ist sie Teil der Produktionsplatform pong film in Berlin. Aktuell ist sie Stipendiatin des Förderprogramms für Künstlerische Forschung der Berliner Senatsverwaltung.

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