Worte zur Eröffnung: Otto Künzli für Lisa Walker

Otto Künzli

Am 4. März hielt Otto Künzli eine Rede zur Eröffnung der Ausstellung She Wants to Go to Her Bedroom but She Can’t Be Bothered. 30 Jahre Schmuck von Lisa Walker. Wir veröffentlichen diese Rede hier auf dem Blog in einer von Otto Künzli überarbeiteten Version.
 
Otto Künzli leitete von 1991 bis 2014 den Lehrstuhl für Goldschmiedekunst und die Klasse für Schmuck und Gerät an der Akademie der Bildenden Künste München. Lisa Walker war von 1995 bis 2001 Studentin bei Otto Künzli, zuletzt als Meisterschülerin.
 
Die Zitate von Lisa Walker stammen aus der Publikation An unreliable guidebook to jewellery by Lisa Walker, 2019 herausgegeben von Kate Rhodes und Nella Themelios für die RMIT Design Hub Gallery, Melbourne.

Lisa Walker in der Begleitpublikation zur Ausstellung She wants to go to her bedroom but she can’t be bothered 2019 in der Hub Gallery in Melbourne:

Seite 207
„Es ist eine Weile her, da wollte ich sehnlichst löten – viel, sehr viel löten. Das beunruhigte mich – waren alle diese anderen Arbeiten, die ich gemacht hatte, nur ein Hilfsmittel gewesen, um mit meinen Metallarbeiten weiter zu kommen? Aber nach einigen Wochen hörte ich auf zu löten und kehrte zu den anderen Arbeiten zurück. Das passiert mitunter – eine Metall-Lust – aber es beunruhigt mich nicht mehr. Anstelle von Klebstoff habe ich Lot, statt Holz oder Plastik nehme ich Metall, ein umfassender Szenenwechsel. Die Metallarbeiten, die jetzt entstehen, unterscheiden sich sehr von denjenigen, die ich vor einigen Jahren gemacht habe.“
 
Seite 261:
„Covering – either the form I have needs covering or the material I have needs to cover. It is often about finding the right tension with  elebrating an object, not disguising it whatsoever. I enter the world of the found object or the readymade. I recognise that for the piece to become good there has to be a cover up.“
 
Seite 361:
„I’m sick of making pieces that have a meaning.“
 
Seite 445:
„Ich verwende Text so wie jedes andere Material. Manchmal ist meine Absicht ziemlich offensichtlich; und ein anderes Mal ist es Unsinn. Text kann dekorativ sein, oder die Schriftart verändert sich in einem Stück. Text findet interessante Anwendungen, wenn man über einen Titel für eine Arbeit oder eine ganze Ausstellung nachdenkt. Text kann räumlich werden.“
 
Die Texte von Lisa Walker sind kurz, kräftig, authentisch. Einige habe ich sorgsam übersetzt, andere widersetzen sich dem und sind im Original stärker, haben mehr Biss. 

Sie unterscheiden sich grundlegend von den Mainstream-Statements und den Interviews mit denen die einschlägigen Blogs uns berieseln; und von den allgegenwärtigen, mehr oder weniger akademischen Einführungstexten, mit denen die Besucherinnen und Besucher von Ausstellungen schon im Vorfeld auf „den gewünschten Pfad der Wahrnehmung“ geführt werden. 

Es wird zu viel geredet (und geschrieben) und zu wenig gesagt. Es wird vor allem zu wenig Starkes und Authentisches gemacht. 

Seite 257:
„You just gotta go blah, fuck, and then some good things can start to happen in the work.“

Dieser gute Rat, stammt, wie alle übrigen Zitate auch, aus der kleinformatigen aber hochkarätigen Begleitpublikation, erschienen 2019, aus Anlass der Ausstellung She wants to go to her bedroom but she can’t be bothered in der Hub Gallery in Melbourne. 

Lisa’s Texte ziehen sich wie ein Faden durch das ganze Buch. Es ist ein Wechselbad der Aphorismen, Kommentare, Statements, Fragen, Antworten und auch der Zweifel. Mit Open-End:

Seite 461:
„Everything is food for art. What new surprises do you have in store? Don’t know yet! Day by day, piece by piece, let’s see what happens.“
 

Die kleine Auswahl gibt bereits einen tiefen Einblick in Walker’s Umgang mit Technik, Material, Methode und Text. In knappen, prägnanten Sätzen sagt sie, um was es ihr geht: 

_Lust, Risiko, Zufall, 

_das Vorhandene, das Gefundene, – die Verhüllung und die Verwandlung, 

_um Offenheit und Widersprüchlichkeit, 

_Chaos, Selbstvertrauen, Ehrlichkeit, 

_um Kostbarkeit und Schönheit, 

_und den Anspruch, immer wieder von vorne zu beginnen, 

_und auf alles zu pfeifen, was schon da ist. 

 

Der Titel des Buches ist ein Hammer: An unreliable guidebook to jewellery. Ein unzuverlässiger Reiseführer für Schmuck. 

Schelmisch, verschmitzt, boshaft. Aus dem Dunkel blitzt der abgrundtiefe Humor von Lisa Walker. Großartig und Schräg. 

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Die Wolken jagen, die Sonne sticht, die Erde bebt, die See verschlingt. Sehr unheimlich was dem Allem zu Grunde liegt! 

The Cook Strait, die Ost-West-Passage vor Wellington, teilt Neuseeland in die Nordinsel und die Südinsel. Sie zählt zu den stürmischsten Meeresstraßen der Welt. Die wuchtigen, haushohen Wellen der Tasmanischen See werfen sich hier in eine tosende Schlacht mit dem Pazifik. 

Ich empfehle: „Cook Strait on a rough day“ googlen, und staunen! 

In der Unterwelt dieser Region spielen zwölf Verwerfungen ihr tektonisches Roulett. 

Erdbeben in Mittel-Neuseeland sind geprägt von komplexen, gleichzeitigen Bewegungen: hin und her, rauf und runter, drehen, kippen und wölben und alles auf einmal. Tsunami inklusive. 2011, Christchurch, ist in schmerzhafter Erinnerung. Alles ist möglich. Hier und da. Wo es wieder passieren wird. 

Wellington ist die einzige Hauptstadt der Erde, die im Einflussbereich der Roaring Fortis liegt, der Donnernden Vierziger, mit ihren starken Westwinddriften. Heftige Stürme treten vorwiegend im Herbst und Winter auf. Anyone who has ever flown into Wellington has a story to tell, sagt man. Es ist der windigste Flughafen der Welt. Ich hatte das Vergnügen. Ich mach es kurz. Es fühlte sich an, wie wenn man die Treppe runterfällt. Knapp über dem Boden presste es uns sehr ungut in die Sessel. Der Pilot musste durchstarten. Beim zweiten Anflug war es eher wie Rodeo. Nur dass jetzt auch noch volle Kotztüten durch die Kabine flogen. Unmittelbar nach der abrupt endenden Landung schlug der Blitz in das Flughafengebäude ein, die Pistenbeleuchtung erlosch. Wir waren froh unten zu sein, aber mitten in der schwarzen, gleißend durchzuckten Gewitterwolke, die uns umgab, war es immer noch sehr ungemütlich… Geologisch, tektonisch, seismologisch, meteorologisch und ozeanografisch ist Wellington ein Ort der Extreme. Ein unzuverlässiger, wechselhafter Hotspot. Unrelaiable. Himmel und Hölle at once. 

Lisa Walker ist da geboren und aufgewachsen. Sie kommt von da und musste dahin wieder zurück. Sie braucht das. Das Bisschen Föhn in München, langweilig, geschenkt! Wir hatten keine Chance Lisa Walker zu halten. Kommt hinzu, dass Neuseeland auch irre SCHÖN ist. Und die Sonne oft scheint. Und das gilt besonders für Wellington. Und dann die Hügel, die Buchten, die Strände. Ich ging da mit Lisa und Karl spazieren. Es war ein hinreißend schöner Tag. 

Doch das ist nicht alles, da ist natürlich noch mehr, noch viel mehr. Freunde, oder Schafe, oder so. 

Das können andere erzählen, denn nichts Genaues weiß ich nicht. 

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Es war eine Augenweide, im wahrsten Sinn des Wortes. Sechs riesige Tische, bedeckt mit Sonnenblumen-gelben Kartons und weit über 1000 Schmuckarbeiten – and pieces that may become jewellery – die Lisa für ihr Diplom 2004 in der Akademie der Bildenden Künste in München aufgebaut hatte. Man konnte sich nicht satt sehen. Da wandte sich ein Herr, den ich damals kaum kannte, an mich, und sagte unvermittelt und mit leiser Stimme: She is fearless. Sie ist furchtlos. — 
Es war Ingo Maurer, der Licht-Designer, durch seine Lampen uns allen bekannt. 

Ein letztes Zitat.

Seite 175:

Frage: And how do you feel when you see your influence on the work of others? 
Lisa’s Antwort: „I am still waiting for the ‘Fuck Lisa Walker’ piece.“

—– 

Da kannst Du noch lange warten, Lisa! 

Zu den Arbeiten von Lisa Walker sage ich nichts. Diese können Sie im Original betrachten. 

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Die Ausstellung. Traumhaft, wunderbar, großartig. Wer das Staunen nicht verlernt hat, hat dazu jetzt die Möglichkeit. 

—– 

Lassen sie ihre Augen weiden. 

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määäähh! 

MÄÄÄHH! 

maeaeaeaeaehhh 

mä!! 

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