Zum FRIDAY LATE laden wir am 3. Mai und am 5. Juli jeweils ab 19 Uhr zum Philosophischen Foyer mit Paulus Kaufmann ein. Bei dem moderierten philosophischen Gespräch tauschen wir uns über z.B. Kindheit (3. Mai), Spießer oder Genervt sein (5. Juli) aus. Dabei geht es nicht um die Vermittlung von Wissen über die Philosophiegeschichte oder um den bloßen Nachvollzug zeitgenössischer akademischer Debatten, sondern um die eigene und zugleich gemeinsame Reflexion. In diesem Gastbeitrag spricht der Philosoph Paulus Kaufmann über das Thema des ersten Philosophischen Foyers: Spießer.
Was ist eigentlich ein Spießer?
Historisch lässt sich diese Frage recht klar beantworten. Spießer, ursprünglich „Spießbürger“, wurden seit dem Spätmittelalter die Bewohner der deutschen Städte genannt, die im Angriffsfall mit Spießen bewaffnet in die Schlacht zogen. Zunächst hatten diese wehrhaften Bürger einen guten Ruf, da sie sich im Kampf durchaus bewährten und auch gegen berittene Adlige wertvolle Nadelstiche setzen konnten.
Die Spießbürger hielten jedoch auch dann noch an ihrer Bewaffnung und dem damit einhergehenden Standesdünkel fest, als neue Entwicklungen in Militärtechnik und –strategie, Musketen und stehende Söldnerheere die Verteidigung mit Spießen überflüssig gemacht hatten. Spießer waren demnach die Ewiggestrigen, die ihren übertriebenen Stolz auf längst vergangene Verdienste gründeten.
So wurden die Spießbürger in der Zeit von Aufklärung und Romantik zum Objekt des Spotts von Studenten, Literaten und Philosophen. Die Spötter selbst waren allerdings meist Individuen, die aus höheren Schichten stammten und sich den mittelständischen Philistern – wie die Spießer auch genannt wurden – schon aufgrund ihrer Bildung und gesellschaftlichen Stellung überlegen dünkten.
Was sind heute noch Spießer?
Das erste Philosophische Foyer in der Villa Stuck förderte eine Vielfalt von Antworten und Assoziationen zutage. Die Beiträge machten deutlich, dass das Adjektiv „spießig“ häufig für Objekte und Verhaltensweisen verwendet wird, die man z.B. für ästhetische Fehlgriffe hält: etwa für Gartenzwerge in Vorgärten, Essen vom Brettchen, Schwarzwälder Kirschtorten oder tätowierte Sekretärinnen.
Damit rückt der Spießer bisweilen in die Nähe vom Kauz oder Nerd – oder zum „fuddy-duddy“ wie bestimmte Spießerexemplare in Großbritannien genannt werden. Im Gegensatz zu diesen belächelten, aber nicht verhassten Sozialfiguren kritisieren wir den Spießer jedoch auch für sein Sozialverhalten. „Spießer sind Leute, die ihren Mitmenschen das Zusammenleben schwer machen. Die sich durch die Menschenmengen im Bierzelt drängen, um sich ihre Mass an der Schänke nachfüllen lassen.“
„Die sich ungefragt in die Angelegenheiten anderer Menschen einmischen und ihnen ihre eigene, konservative Meinung aufdrängen. Die auch bei kleinen und seltenen Ruhestörungen nach der Polizei rufen. Daher werden sie auch als humorlose Spielverderber gesehen, die Angst vor Veränderung haben und nicht den Mumm aufbringen, sich mit ihren Nachbarn direkt auseinanderzusetzen.“
Was stört uns genau an diesem regelkonformen Verhalten?
Was ist schlecht daran, auf seine Rechte zu pochen? Und haben wir nicht alle ein Bedürfnis nach Sicherheit? Aufgrund dieser offenen Fragen ist es heutzutage nicht selten, den Spießerbegriff auch zur Beurteilung des eigenen Verhaltens heranzuziehen. Während der Ausdruck „Spießer“ Künstlern, Philosophen und Sozialisten in der Vergangenheit als Kampfbegriff diente, mit dem sie sich von bestimmten Bevölkerungsschichten abgrenzten, entdecken heute immer mehr Menschen „den Spießer in sich“, wie es in den Medien und in der Werbung heißt.
Dahinter steht auch eine Kritik des Spießerbegriffs selbst. So verrät der Begriff nicht nur etwas über denjenigen, der damit bezeichnet wird, sondern auch über den, der ihn verwendet. Wer andere als „Spießer“ bezeichnet, hält sich für etwas Besseres, grenzt sich ab, erhebt sich über andere und verurteilt sie, ohne sie recht zu kennen. Daher offenbart die Verwendung des Ausdrucks „Spießer“ gerade auch solche Eigenschaften des Benutzers, die wir an Spießern mit Recht kritisieren.
Vielleicht ist auch dies einer der Gründe dafür, dass der Begriff „Spießer“ von Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht mehr oft verwendet wird. Der Begriff scheint aus der Mode zu geraten. Dies heißt natürlich nicht, dass auch Kleinkariertheit, Engstirnigkeit und Intoleranz aus der Welt verschwinden. Vielleicht werden wir in Zukunft jedoch andere Ausdrücke gebrauchen müssen, um derartige Denk- und Handlungsweisen zu kritisieren.
Das nächste Philosophische Foyer findet am 3. Mai um 19 Uhr zum Thema „Kindheit“ statt. Mehr Informationen dazu gibt es hier.
Für die kleinsten Philosophen bieten wir außerdem das hier:
Kinder und Philosophieren? Unbedingt!
Um das Philosophieren mit Kindern geht es bei den Kursen und Workshops von philolino. Kinder stellen große Fragen – doch nur selten bekommen sie gute Antworten darauf. Bei den philolino Kursen nehmen wir uns die Zeit, gemeinsam über das nachzudenken, was Kinder umtreibt. Zum Beispiel geht es um Fragen wie: „Was ist ein Freund?“, „Was macht mich aus?“ oder „Was bedeutet Glück?“.
Wir möchten Kinder ermutigen, ihre eigenen Antworten zu finden, Dinge zu hinterfragen, ihre Meinung zu artikulieren und den Spaß am Abenteuer im eigenen Kopf zu erleben – spielerisch und ohne Druck. Ergänzt wird das Nachdenken durch kreatives Werkeln passend zum Thema. Gelegenheit zum Philosophieren gab es bereits bei FRÄNZCHEN am 13. April im Workshop „Glück“ (6-8 Jahre). Weitere Termine unter FRÄNZCHEN sowie Infos auch unter www.philolino.de .
Fotos: Barbara Donaubauer
Tags: Paulus Kaufmann, Philosophisches Foyer, Veranstaltungen