Dana Weschke ist Autorin und Kunsthistorikerin. Ihre Gedanken zum gesichtlosen Hasen:
Ich bin mir nicht sicher, ob es immer gut ist, Martins Bilder interpretieren zu wollen. Interpretieren im Sinne von: Nach Inhalten suchen, die der Künstler im Bild platziert hat und die dadurch – und nur dadurch – das Bild mit einer übergeordneten Relevanz ausstatten.
Einerseits übersieht man bei der (teilweise verzweifelten) Suche nach Inhalten oft formale Aspekte, die nur rein visuell aufschlussreich sind. Andererseits beschränkt es, gerade bei Martin, die eigentliche Wirkkraft der Bilder, die so gar nicht an bestimmte Inhalte gekoppelt ist.
Die früheste Theorie der Kunst drängte diese in den Dienst der Nachahmung der Wirklichkeit. (Und das obwohl Platon schon sehr früh feststellte, dass alle Kunst nur ein trompe-l’oeil sei und deswegen eine Lüge.) Erst mit der Erfindung der Fotografie, wurde die Kunst von dieser Bürde befreit und der Abstraktion waren plötzlich keine Grenzen mehr gesetzt. Doch musste nun die Fotografie diese Aufgabe übernehmen und noch heute wird einem Foto selbstverständlich unterstellt, es bilde die Wirklichkeit ab.
Roland Barthes schrieb einmal: „Fotografie ist ein verrücktes, von der Wirklichkeit abgeriebenes Bild.“ Was ich also sehe, hat zwar eine Relevanz damit, was der Fotograf gesehen hat; aber es bildet nicht ab, was da war. Es ist deswegen nicht unbedingt die erste Frage, was da wirklich war, als Martin beschloss sich seine Kamera (schützend?) vor sein Gesicht zu schieben.
Als ich einmal ein Interview mit ihm führte, erklärte Martin mir, er habe sich selbst einen visuellen Lehrauftrag gegeben. Deswegen also ein gesichtsloses Kaninchen? Ja, ich glaube auch deswegen. Martin zeigt in seinen Bildern, was wir sonst nicht sehen würden. Vielleicht weil es das so auch gar nicht gibt, oder weil wir es so nicht sehen würden. Er zeigt, wie absurd die Welt sein kann. Und damit, was er nicht zeigt, sagt er auch, wie uninteressant der Rest der Welt sein kann. Oder, wie es Susan Sontag einmal sagte: „Indem sie uns einen neuen visuellen Code lehren, verändern und erweitern Fotografien unsere Vorstellung von dem, was anschauenswert ist und was zu beobachten wir ein Recht haben.“
Ein Begleitblog zum Projekt “Wachs” von Martin Fengel:
Martin Fengel schickt jede Woche einem Künstler, Autor und anderen Menschen, dessen Arbeit oder Werk er besonders schätzt, ein Foto mit der Bitte, dies zu betrachten und ein paar Zeilen über die einströmenden Assoziationen aufzuschreiben. So entsteht zu dem optischen auch ein textliches Kompendium, was sowohl die Möglichkeit der Interpretation oder einfach nur der Beschreibung birgt.
Auf mucbook und im Blog der Villa Stuck zeigen wir jeden Montag – wenn das neue Bild aufgehängt wird – was sich eine Person dazu dachte.
Tags: Fotografie