Die Parodie des Terrors

Ahmet Öğüt Things We Count, 2008 Film still, HD video, Single-channel, 6:20 Minuten © Courtesy of the artist

Als vierte Position der Ausstellungsreihe RICOCHET präsentieren wir Arbeiten von Ahmet Öğüt. Mit den Mitteln von Ironie, Humor und Übertreibung, oft jenseits der Grenze zum Absurden, konstruiert er eine eigene Version der Historie, in der kleinen und vielfältigen Geschichten Vorrang zukommt. Hier stellen wir schon mal ein typisches Werk vor.

Ahmet Öğüt Exploded City, 2009 Mischtechnik, Modellbau, 430 x 480 x 160 cm Installationsansicht Berkeley Art Museum, 2010 © Courtesy of the artist

Das Werk des im kurdischen Diyarbakir (Türkei) geborenen Künstlers offenbart die gewalttätige Homogenisierung von kollektivem Gedächtnis und Geografie des Raumes, die ihrer Dynamik innewohnt. Zuletzt waren die Werke des Künstlers in der Kunsthalle Basel 2008, im Türkischen Pavillon der Venedig Biennale 2009 sowie in der Galerie für zeitgenössische Kunst in Leipzig 2010 zu sehen. In Begebenheiten, Symbolen und Ereignissen, die Alltag geworden sind, entdeckt Öğüt jene Dimensionen, die im erhöhten Tempo der Moderne vergessen oder unterschlagen wurden.

Ahmet Öğüt Exploded City (Detail), 2009 Mischtechnik, Modellbau, 430 x 480 x 160 cm © Courtesy of the artist

In den Lücken der grossen Erzählungen findet Öğüt das Potential, aus dem seine Kunst die Kraft zu ihrem eigentlichen Projekt schöpft – die Befreiung der Erinnerung aus den Fängen der komatösen Einseitigkeit eines kollektiven Gedächtnisses.

Seine vielseitige Bildsprache umfasst Zeichnung, Fotografie, Film und Installation, die Auswahl des Mediums entspringt dem zugrunde liegenden Thema. Öğüts Archäologie des Verdrängten unterliegt nicht den vereinheitlichenden Gesetzen wissenschaftlichen Forschens.

Als Künstler ist Öğüt ein Sammler, ein Reisender, der findet und bewahrt. Sein Blick auf die Dinge und ihre Vielfalt ist organisch, er speist sich aus Literatur, Film und Philosophie. In Öğüt Spiel enthüllt sich die Fiktionalität des Realen.

Die Installation Exploded City (2009) ähnelt einer Spielzeugstadt. Tatsächlich ist das Architekturmodell ein globales, dreidimensionales Archiv, das Gebäude wie Fahrzeuge versammelt, die weltweit in den letzten zwei Dekaden Ziel eines Terroranschlages wurden. Im ironischen Spiegel enthüllt Öğüt die Topografie des Terrors, zugleich die zerstörerische Gewalt von Utopien.

Exploded City ordnet sich, als Parodie, wie schon viele Stadtvisionen zuvor, nicht nur ein in die jahrhundertealte Suche nach der „idealen Stadt“, in den unauflöslichen Zusammenhang von Architektur und Utopie. Mit dem begleitenden Text zu Exploded City fügt Ahmet Öğüt den berühmten Miniaturen Italo Calvinos über die Unsichtbaren Städte (1972) ein weiteres Kapitel hinzu:

Exploded City ist eine Stadt, in der an die alten Gesetze nur noch die Fantasie erinnert. Aber auch die Zukunft ist schon Vergangenheit – die Zeit steht still. Exploded City ist das Zerrbild einer urbanen Utopie, durchzogen von einer Melancholie des Innenhaltens, ähnlich jener aus Chris Markers berühmter Sciene-Fiction-Montage La Jetée (1962). Der Hoffnung Anlass gibt allein die Erinnerung. Oder, wie es in den letzten Zeilen von Calvinos Werk heisst:

„suchen und erkennen, zu lernen, wer und was inmitten der Hölle nicht Hölle ist, und ihm Dauer und Raum geben – liegt ihre Hoffnung in Erinnerung und Erkenntnis.“

RICOCHET #4
Ahmet Öğüt. Wherever I go I see your shadow behind me
11. November 2010 bis 23. Januar 2011
Eröffnung am Mittwoch, 10. November 2010, 19.00 Uhr

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