Der letzte macht das Licht aus

mucbook durfte kurz vor der Eröffnung einen Rundgang mit Ahmet Öğüt machen und kann schon mal verraten, da kommt eine Ausstellung mit Erlebniswert. Viel Gesprächsstoff für die Vernissage am Mittwoch. Der Zündfunk bittet zum Artist-Talk.

Lücken in den Archiven füllt er mit eigenen Recherchen. Geschriebene Geschichte reichert er mit eigenen Texten an und im Internet sucht er nach authentischen Spuren des Alltags, um Vergangenes zu verstehen. Ahmed Öğüt will forschen und verstehen. Und Erkenntnis erreicht man manchmal indem man etwas nicht sieht. In der Villa Stuck macht Ögüt das Licht aus. Der Raum in dem das Bild einer blinden Malerin hängt, ist mit Vorhängen abgedunkelt und schwarz gestrichen. Vor der Tür stehen Taschenlampen für die Besucher. „The Pigeon-like Unease of my Inner Spirit (2009)“ zeigt das von einer blinden Malerin gezeichnete Porträt des ermordeten Menschenrechtlers Hrant Dink.

Ein Tappen im Dunkeln, so würde Ögüt wohl auch den Versuch beschreiben, mit Hilfe von konventionellen Geschichtsschreibung die Vergangenheit deuten zu wollen. Den offiziellen Erzählern traut er nicht. In der Türkei lernte er im Geschichtsunterricht viel über das „kraftvolle“ Osmanische Reich. Den Niedergang steckte man ganz an das Ende des Lehrplans, so dass „meist keine Zeit mehr dafür blieb“, erzählt er. „Geschichte ist immer eine Geschichte von Siegern“, fasst er seine These über die Konstruktion der Vergangenheit zusammen.

Woran sich der nach Authentizität suchende Öğüt festhält: Klassisches Quellenstudium. „Ich bin ein Forscher“, sagt der 1981 im kurdischen Teil der Türkei geborene Künstler und zeigt auf die Collage aus Adlern – es die Staatswappen Albaniens, Moldawiens, und Palästinas. Die Bundesdruckerei druckt Geldscheine und Pässe für all diese Staaten, sagt Öğüt. Er schuf für sein Werk „On the Road to other Lands“ einen neuartigen Reisepass mit Raubkatze statt Adler. In dem Mash-Up zeigt sich der Wunsch nach einer komplexeren Definition von Identität als ihn die staatlichen Behörden zulassen.

Unbekanntes, kurioses und verstörendes aus dem Suppentopf der Geschichte spießt der international gefeierte Wahl-Holländer in der an wahre aber abseitige Ereignisse erinnernde Jahrhundertchronik „Today in History“ auf, um es in Museen zu präsentieren. Geschichten von Hausfrauen, Hochstaplern und Bürokraten.

Eines seiner spektakulärsten Werke ist gelb, schwimmt und trägt den Namen „Ocean Wave“. Die Zuschauer sehen im Dachgeschoß der Villa einen Film über die Performance-Aktion „Guppy 13“. Monatelang, so erzählt Öğüt, habe er das Boot dieser Bauart gesucht. Denn nur 300 Stück waren 1974 in den USA gebaut worden, bevor der Künstler und Utopist Bas Jan Ader damit bei einer Weltumseglung für immer in den Wellen des Atlantiks verschwand.

In der Villa Stuck sieht der Besucher auf Großleinwand wie das Boot rückwärts durch eine Fluß in Holland schippert. Passanten steigen ein, schnuppern für ein paar Minuten Atlantik-Überquerungs-Luft. „Living History“ rückwärts gedreht. Kuriose Ideen wie diese sind typisch für den Künstler, der sich wohlfühlt auf dem schmalen Grad zwischen Klamauk und Kunst.

Sein berühmtestes Werk – „Exploded City“ – wurde im türkischen Pavillon auf der Biennale in Venedig erstmals gezeigt. Ein Ort des Grauens, sauber und liebevoll gestaltet in der Tradition architektonischer Utopien. Die Modellsiedelung zeigt ein Anschlagsziele der vergangenen 20 Jahre. Öğüt recherchierte exakt und bildete die Modelle als Wolkenkratzer, Moschee und Spielzeugauto naturgetreu nach. Eine Spielzeugstadt des Terrors. Aber auch ein Denkmal für das zum Alltag gewordene zivile Massenmorden. Im ironischen Spiegel enthüllt Öğüt die Topografie des Terrors und zugleich die zerstörerische Gewalt von Utopien. Ein Werk, das im obersten Stockwerk der Villa Stuck einen idealen Raum besetzt hat und die Monströsität des Terrors auf einen handlichen Maßstab reduziert.

Die Ausstellung wird am Mittwoch um 18 Uhr mit einem Artist-Talk eröffnet. Auf dem Podium unterhalten sich Zündfunk-Moderator Roderick Fabian und Ahmet Ögüt.

Artist`s Talk: Mittwoch, 10. November, 18.00 Uhr, Museum Villa Stuck, Eintritt frei
Ahmet Öğüt im Gespräch mit Roderich Fabian (ZÜNDFUNK)
Im Anschluss Eröffnung der Ausstellung sowie Musik von Tom Kretschmer (ZÜNDFUNK)

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